Klavier-Urteil (Gernot Holstein)

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Der Artikel Klavier-Urteil (Gernot Holstein) enthält einen Bericht Gernot Holsteins über den von ihm erstrittenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember 2009 betreffend das sonntägliche Klavierspielen in der Wohnung.

Einführung

Die damals 16jährige Tochter Gernot Holsteins aus Berlin-Spandau übte auch sonntags am Klavier. Deshalb sollte ihr Vater wegen Lärmbelästigung eine Geldbuße zahlen. Gernot Holstein klagte vor dem Amtsgericht Tiergarten und dem Kammergericht, dem Oberlandesgericht des Landes Berlin, und verlor. Wie Rolf Gröschner wollte Gernot Holstein auch einmal im Leben vor das Bundesverfassungsgericht. Gernot Holstein erhob gegen die Entscheidung der Berliner Richter Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und bekam Recht. Hier folgt ein kurzer Bericht Gernot Holsteins über den Rechtsstreit und den von ihm erstrittenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts.

Bericht

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verbot der Familie Holstein mit Urteil vom 4. Juni 2008 nach dem neuen Berliner Immissionsschutzgesetz an Sonn- und Feiertagen zu musizieren. Im Wiederholungsfall drohe eine Geldbuße in Höhe von 50.000 Euro, und es werde das Klavier der Familie beschlagnahmt. Das Kammergericht Berlin bestätigte dieses Urteil.

Dagegen erhob Gernot Holstein trotz des Kostenrisikos im Oktober 2008 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Er ließ sich dabei von Professor Dr. Franz-Joseph Peine vertreten, bei dem er während seines Jura-Studiums Polizei- und Ordnungsrecht gehört hatte.

Zwanzig Jahre lang hatte Gernot Holstein - der auch selber Klavier spielt - mit seiner Familie musiziert, auch sonntags und an den Weihnachtsfeiertagen. Dann zog ein Briefträger ins Nebenhaus und machte der Familie schon bald das Leben zur Hölle. Ohne jemals Holstein oder seine Frau persönlich darauf angesprochen zu haben, daß ihn das etwa einstündige Klavierspiel der Holstein-Tochter störe, erstattete er schon einen Monat nach seinem Einzug Sonntag für Sonntag Anzeige, um das Klavierspielen zu unterbinden. Das Ordnungsamt Berlin setzte daraufhin ein Bußgeld in Höhe von 75 € sowie eine Bearbeitungsgebühr von 23,50 € fest. Insgesamt sollte Gernot Holstein 98,50 € zahlen, weil seine Tochter sonntags Klavier gespielt hatte.

Dagegen legte Gernot Holstein Widerspruch ein, aber der Richter am Amtsgericht Tiergarten, Hans-Jürgen Marsollek, senkte lediglich das Bußgeld auf 50 € unter Androhung der oben genannten Konsequenzen, weil Holstein es als Vater zugelassen hatte, daß seine Tochter durch das Spielen von Klavierstücken von Johann Sebastian Bach und Frédéric Chopin „Lärm verursacht hatte, durch den der Nachbar in seiner Ruhe erheblich gestört wurde“. Dabei setzte Marsollek das Klavierspiel der Tochter mit dem Lärm einer Kreissäge gleich. Insbesondere stellte der Richter darauf ab, daß es in Berlin nicht mehr ortsüblich sei zu musizieren. Das möge man bedauern, aber das sei die Realität, meinte er. Heutzutage spielten kaum noch Kinder Klavier. Der Richter fragte einen der als Zeuge geladenen Polizisten, ob ihn Klavierspiel störe, was dieser bejahte!

Daß Holstein studierter Jurist ist und das einstündige Klavierspiel für erlaubt gehalten hatte, wertete der Richter als Schutzbehauptung. [1]

Der Richter legt die Höhe der Geldbuße auf 50,- Euro fest, damit Holstein kein Rechtsmittel einlegen konnte. So war nur noch eine Rechtsbeschwerde beim Kammergericht Berlin möglich. Der Skandal: Das Kammergericht verwarf die Rechtsbeschwerde ohne Begründung und ging somit auf keines der Argumente ein.

Damit war in der Hauptstadt Berlin - die sich gern international und weltoffen gibt - eine Rechtslage entstanden, in der man selbst am „Tag der Einheit“ eine Anzeige wegen ruhestörenden Lärms riskierte, wenn man immer wieder die Nationalhymne auf dem Klavier spielte und es dem Nachbarn, der Kommunist ist, störte.

Gernot Holstein, der dies Verbot als Verletzung seiner Grundrechte beurteilte, als „provinziell“ und als einen Schlag gegen unsere Kultur empfand, erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde.

Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Beschluß vom 8. Dezember 2009 fest, daß es für ein sonntägliches Klavierspielverbot in Berlin gar keine Rechtsgrundlage gebe. Es könne nicht sein, daß sich ein Nachbar vom Klavierspiel des Nachbarn gestört fühle, und wenn dann ein herbeigerufener Polizist meine, ihn würde das auch stören, hätte der Musiker schon gegen das Gesetz verstoßen. An der Entscheidung im Klavier-Rechtsstreit wirkte auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Hans-Jürgen Papier mit.

Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil auf und verwies es zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Tiergarten zurück. [2] Das Amtsgericht Tiergarten stellte das Verfahren daraufhin ein.

Kommentar

In der Zivilrechtsprechung ist ein- bis zweistündiges Klavierspielen an Sonn- und Feiertagen gestattet. Wenn man sich von einem musizierenden Nachbarn gestört fühlt, muß man den Zivilrechtsweg beschreiten. In Berlin versuchten Gericht und Behörden, die Zivilrechtsprechung auf der Grundlage eines Lärmschutzgesetzes auszuhebeln. Dieser Praxis hat das Bundesverfassungsgericht nun einen Riegel vorgeschoben.

Durch Gernot Holsteins Einsatz kann man nun in Berlin an Sonn- und Feiertagen weiterhin musizieren.

Literatur

  • Franz Nestler, Christoph Stollowsky: Empfindliche Anwohner. Klavierspielen unerwünscht: Vater muss Bußgeld zahlen. In: Der Tagesspiegel vom 29. September 2008 - Tagesspiegel
  • Bundesverfassungsgericht: Beschluß 1 BvR 2717/08 vom 8. Dezember 2009 - im Netz
  • Jost Müller-Neuhof und Jana Peters: Bußgeld wegen Hausmusik war unzulässig. In: Der Tagesspiegel vom 11. Dezember 2009, S. 9

Querverweise

Netzverweise

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Franz Nestler, Christoph Stollowsky: Empfindliche Anwohner. Klavierspielen unerwünscht: Vater muss Bußgeld zahlen. In: Der Tagesspiegel vom 29. September 2008 - Tagesspiegel
  2. Bundesverfassungsgericht: Beschluß 1 BvR 2717/08 vom 8. Dezember 2009 - im Netz