Friedrich Weinberger (Nürnberger Rede)

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Der Artikel Friedrich Weinberger (Nürnberger Rede) enthält die Rede Friedrich Weinbergers bei der Großkundgebung „EMPÖRT EUCH – Recht und Freiheit für GUSTL MOLLATH“ am 27. Juli 2013 in Nürnberg.

Einleitung

Dr. med. Friedrich Weinberger ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Er ist der letzte (aktuellste) Gutachter Gustl Mollaths, Vorsitzender der Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie (GEP) und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Er ist einer der wenigen Ärzte, die es wagen, Kritik an seinen Psychiatrie-Kollegen zu üben.

In den 1980ern gehörte Weinberger dem Landesvorstand des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CSU an. Man mußte hierfür damals kein altgedienter Parteissoldat sein. Weinberger war in dem Kreis quasi der Referent für psychiatrische Themen, sprach zu solchen wiederholt auf den Gesundheitspolitischen Kongressen der Partei, stand wiederholt auf den entsprechenden Werbeplakaten und Handzetteln. Weil die CSU den Weg in der Staatspsychiatrie in Rahmen der Psychiatrie-Enquête immer deutlicher fortsetzte, schied Weinberger bald als Mitglied aus. Wenn die CSU-Justizministerin sein lege artis Mollaths Gesundheit ausweisendes Gutachten totschweigt oder heruntermacht, schießt sie sich gleichwohl immer noch in ihr eigenes Partei-Bein.

Rede

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Liebe Freunde von Gustl Mollath, Mitstreiterinnen, Mitstreiter!

Daß sich ein Arzt für einen psychiatrisch langjährig Internierten öffentlich einsetzt, ist ungewöhnlich, geschieht selbstverständlich hier bei Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht.

Der Fall Gustl Mollath ist aber so skandalös, daß Außergewöhnliches gefordert ist. Außergewöhnlich und wahrlich ermutigend ist schon, daß sich für diesen gesund im Irrenhaus sitzenden Mann mit Ihnen so viele Menschen hier in Nürnberg, seiner Heimatstadt, bei dieser Hitze versammelt haben, um seine Freilassung zu fordern.

Mollath sitzt auf Grund des Gutachtens des Psychiaters Dr. Leipziger, der ihn nie untersucht, gleichwohl aber für wahnkrank erklärt hat. Weitere Ärzte, auch hoch renommierte wie die Professoren Kröber und Pfäfflin, beurteilten ihn auf ähnlich dürftiger Basis ähnlich vernichtend.

Der Letztgenannte, Pfäfflin, untersuchte Mollath zwar, stellte zunächst auch fest, er sei bei der Untersuchung (Zitat) „nicht innerlich angespannt, aggressiv oder voller … Haß“ gewesen. Auch sei auf Station „keine von ihm ausgehende Allgemeingefährlichkeit gesehen“ worden (Zitatende).

Unter einer nicht nachvollziehbaren Kehrtwendung erklärte er ihn aus hohler Hand dann aber doch als krank und allgemeingefährlich – weil er sich an keinen „Therapiemaßnahmen“ beteiligte. Will man gesund sich Fühlende, als gesund letztlich auch Ausgewiesene durch Aufnötigen von Therapie hintenherum wieder zu Kranken machen?

Von den insgesamt sechs Psychiatern, die Mollath als wahnkrank verdächtigten oder erklärten, hat ihn ein einziger untersucht, besagter Herr Pfäfflin. Von den zwei Gutachtern, die Mollath gesund befanden, haben ihn beide persönlich untersucht, so der niederbayerische Klinikarzt Dr. Simmerl und als letzter im April 2011 eben ich. Unsere nach Art der Kunst und Wissenschaft erstellten Expertisen wurden von den Gerichten nur übergangen, abgetan – Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zuwider. Nach diesem sind bei einander widersprechenden Gutachtern beide anzuhören, was den Bayreuther Vollstreckungsrichter Kahler einen Kehrricht kümmerte. Mein Gutachten half wenigstens, die Kampagne für Mollath in Gang zu bringen. Frau Dr. Merk gibt Pfäfflins Gutachten vom Februar 2011 als letzterstelltes aus und verschweigt, daß ihm bereits wenige Wochen später ein anderes, meines nämlich, folgte, das

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der dort behaupteten Gemeingefährlichkeit Mollaths kompetent widersprach. Weil sich Mollath nicht erneut begutachten lasse, sei er, so Merk dreist, an seiner weiteren Unterbringung selbst schuld! Wie oft soll er sich dem Streß der Begutachtung noch aussetzen¸ wenn seine Gesundheit bestätigende Expertisen einfach weggewischt werden? Der Bayreuther Richter Kahler, der mein Gutachten, immer noch das aktuellste, abtat und Mollath über zwei Jahre seitdem weiter schmoren läßt, bezog wegen beim letzten Prüftermin ähnlich verübter Rechtswidrigkeit vom Oberlandesgericht Bamberg einen kräftigen Rüffel.

Nachdem die Anträge auf ein Wiederaufnahmeverfahren aber vom Regensburger Landgericht vor drei Tagen abgelehnt wurden, ist offen, ob die vielen Inkorrektheiten, die es im Vorgehen der Justiz gegen Mollath laufend gegeben hat, je noch korrigiert werden.

Aufgedrückt bekam Mollath von den Amtsgutachtern Leipziger, Kröber, Pfäfflin die Diagnose einer wahnhaften Störung. Sie ist eklatant falsch, schon weil der Realitätsgehalt seiner als wahnhaft gewerteten Äußerungen zu den Geldverschiebungen seiner Frau nicht geprüft worden waren. Öffentlich hat der Bonner Gerichtsgutachter Prof. Dieckhöfer die Expertisen der Herren schon zerpflückt. Frau Dr. Merk glaubte, seine treffenden Feststellungen (wie auch meine) herabsetzen zu können. Sie hat deshalb schon eine Klage am Hals.

So sehr die Medien, vor allem die Nürnberger Nachrichten und die Süddeutsche Zeitung, den Skandal Mollath an die Öffentlichkeit - und damit einer Lösung hoffentlich doch nahe brachten, ließen sie den Anteil, den die Psychiatrie an ihm und an ähnlichen Skandalen hat, weithin unerwähnt. In der ZEIT trat besagten Amtsgutachtern jüngst noch Prof. Saß an die Seite, der frühere Direktor der psychiatrischen Uni-Klinik Aachen. Es gebe Erkrankungen, meinte er, „bei denen Menschen sehr besonnen auftreten und trotzdem wahnhaft sind,” deren Geschichte stimme, „doch die darauf aufbauenden Gedanken können trotzdem krankhaft...sein“ - im Prinzip richtig. Seine abstrakten Feststellungen münzte der Experte jedoch just auf Mollath und brachte ihn so aus hohler Hand grundlos, haltlos erneut in den Geruch möglicher, wenn nicht wahrscheinlicher Geisteskrankheit. Die abgehobene Art der Verdächtigung, ja Verleumdung üben leider manche Vertreter der

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3 Seelenheilkunde, auch einige ihrer Spitzenvertreter. Sie spielen tiefgründige Menschenkenntnis und eine erhabene Wissenschaftlichkeit vor, ja geben sich darin unfehlbar. Dabei gibt die Wissenschaft von der Seele solchen Anspruch gar nicht her. Viele Nervenärzte, Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten machen es ihnen nach. Und viele Medien, nicht nur DIE ZEIT, himmeln sie an. Just das hat, in Rechtsstaatlichem versteckt, geradezu ein psycho-justitielles Unrechtssystem hervorgebracht und den Untergrund zu all der großspurigen Fahrlässigkeit gelegt, die in den Stellungnahmen der Herren Leipziger, Kröber, Pfäfflin und ähnlicher Experten zum Ausdruck kam und Mollath siebeneinhalb Jahre Freiheit kostet.

Psychiatrie ist keine Geheimwissenschaft. Auch die Abfassung richtiger Gutachten ist es nicht. Diese ist selbstverständlicher Teil der langen fachärztlichen Weiterbildung zum Psychiater. Sie ist dabei Sache nicht nur des Könnens, sondern auch des Charakters. Psychiatrie ist eine Wissenschaft, die, korrekt angewandt, vielen Schwerkranken entscheidende Hilfe leistet.

Sie ist aber auch eine Disziplin, aus der hierzulande schlimmste Verbrechen, Massenmord, schon hervorgegangen sind, eine Disziplin, in der vielerorts schwere Menschenrechtsverletzungen geschahen. Immerfort bedarf sie deshalb kritischer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

Merkwürdigerweise fand die Psychiatrie anders als etwa die Justiz bisher auch im Fall Mollath nur wenig mediales Interesse. Vergleichbar schlimm ist, daß es in diesem streng hierarchisch geführten Fach auch intern seit Jahrzehnten keine freie Diskussion gibt.

Es sind lang in den Psycho-Fächern angehäufte Fehlentwicklungen, die mit zu dem Fall Mollath geführt haben, Viele von Ihnen werden in den letzten Monaten von dem neuen Diagnosen-Verzeichnis der amerikanischen Fachgesellschaft APA, dem DSM-5, gehört und so mitbekommen haben, wie fragwürdig manche Diagnosen sind, die da neu eingeführt wurden, wie schnell sie normale menschliche Verhaltensweisen ins Krankhafte rücken – zum Vorteil gewiß der Pharma-Industrie, aber auch der Psychiater, Psychologen selbst. Fragwürdig waren viele Diagnosen schon, die im Vorläuferverzeichnis DSM-IV wie auch im internationalen Parallel-Verzeichnis ICD standen und stehen. Dehnbar-schwammige Diagnosen lassen sich fast jedem, jeder von uns aufdrücken und tun so manchem Probanden Unrecht.

Über dem Fall Mollath versprechen uns einige Politiker(innen) jetzt gesetzliche Änderungen. Es ist wohl an der Zeit, daß das alte Nazi-„Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung” vom November 1933, dem auch Mollath unterliegt, gründlich überholt wird. Es darf jedoch nicht allein bei Juristischem bleiben. Eine

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Psychiatrie-Reform gab es in den 1970er und 80er Jahren. Sie brachte, von der Ärzteschaft gedeckt, neben kleinen Verbesserungen just den verstärkten Zugriff von Staat, Politik und Politikern auf das Fach und zementierte den Anspruch der „Psycho-Obrigkeit“ auf Unfehlbarkeit. So wie ihn die Herren Leipziger, Kröber, Pfäfflin im Fall Mollath erheben, spielen ihn in anderen Fällen straf- wie zivilrechtlicher, nicht zuletzt familienrechtlicher Auseinandersetzungen genügend andere Ärzte und Psychologen aus und drücken ihn damit bei Gerichten durch. Just mit jener Psychiatrie-Reform kam es zu der ungebührlichen Aufblähung, Ausbreitung der Psycho-Fächer über immer größere Bereiche des Menschen- und Gesellschaftslebens, trat dazu die Wucht der Staatsmacht hinter ihre Maßgaben, Maßregeln.

Unser erstes Ziel ist die Freilassung Gustl Mollaths. Um darüber hinaus an die Wurzeln des Übels zu kommen, soweit sie in den Psycho-Fächern liegen, und um anderen solche Übel zu ersparen, gilt es, das nun geweckte, kritische Interesse für die Fächer beizubehalten.

An einer mißbrauchbaren Psychiatrie und Psychologie haben, wie seit Sowjet- und DDR-Zeiten bekannt, viele Mächtige ihr eigenes Interesse und Vertreter dieser Fächer gibt es immer, die ihnen gern an die Hand gehen. Elegant können sie damit Unliebsame aus dem Verkehr ziehen.

Lassen wir uns von niemandem täuschen, nicht von Politikern, nicht den Medien, am allerwenigsten aber von den Spitzenvertretern der Psychiatrie und Psychologie. Prüfen wir genau, was uns jetzt an „Verbesserungen“ vorgesetzt werden wird. Halten wir die Freiheitsrechte hoch, die uns das Grundgesetz garantiert. Lassen wir sie durch keine juristischen oder psychiatrisch-psychologische Finten aushöhlen und behalten wir die Grenzen der Psycho-Fächer und ihrer Vertreter im Auge. Führen wir den Kampf für Gustl Mollaths Freiheit weiter. Wir kämpfen ihn für uns alle! Dr. Friedrich Weinberger

Querverweise

Sachartikel

Personenartikel

Netzverweise

  • Großkundgebung „Recht und Freiheit für Gustl Mollath“ - Facebook

Einzelnachweise und Anmerkungen