Rechtschreibreform (Günter Loew)

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Der Artikel Rechtschreibreform (Günter Loew) enthält neun Protestpunkte der Lehrerinitiative gegen die Rechtschreibreform Hessen von Oberstudienrat Günter Loew, Rodenbach bei Hanau, vom 2. September 1997.

Lehrerinitiative gegen die Rechtschreibreform Hessen

9 Punkte zur Rechtschreibreform

1. Die politische Öffentlichkeit, vor allem aber unsere mit vermeintlich viel wichtigeren Dingen beschäftigten Politiker selbst, haben die sog. Rechtschreibreform anfangs völlig unterschätzt und beginnen jetzt erst allmählich, den darin enthaltenen sozialen Sprengstoff wahrzunehmen. Wie ernst die Sache ist, haben die meisten von ihnen anscheinend jedoch noch immer nicht begriffen, sonst würden sie die „Reform“ sofort stoppen, statt die Dinge einfach weiter treiben zu lassen und in ihrer sattsam bekannten Art nach Kompromißlösungen zu suchen oder sich gar der Illusion hinzugeben, durch ein paar Nachbesserungen könne das sprachzerstörerische Machwerk doch noch die vielzitierte „gesellschaftliche Akzeptanz“ finden.

2. Es scheint allerdings so, als hätten die Kultusminister mit ihrem Versuch, dem deutschen Volk über die Schule mit dieser Reform auch noch eine ganz neue, von Experten am Reißbrett entwickelte Orthographie aufzuzwingen, einen unsichtbaren Rubikon überschritten, nämlich die Grenze des politisch Zumutbaren.

3. Bei dem Versuch, ihre Herrschaft auch noch über die Sprache und die Orthographie auszudehnen, sind die Kultusminister nämlich in einen Bereich vorgestoßen, der für die Politik bisher tabu war und nach Meinung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung auch weiterhin tabu bleiben soll.

4. Im Widerstand gegen die Rechtschreibreform artikuliert sich nicht nur der Protest gegen die als unzumutbar empfundenen Eingriffe von Sprachwissenschaftlern in die deutsche Orthographie, sondern auch das Bestreben, dem immer weiter um sich greifenden Machtanspruch der Politik eine unverrückbare Grenze zu setzen.

5. Insofern ist der Protest gegen die Rechtschreibreform auch als Warnung an alle Politiker zu verstehen.

6. Wir Reformgegner halten es ebensowenig für hinnehmbar, daß die deutsche Sprache und ihre Rechtschreibung irgendwelchen Expertengruppen ausgeliefert werden, die sich einbilden, sie verbessern zu können, in Wirklichkeit aber durch ihre Selbstüberschätzung ein Chaos anrichten.

7. Nach unserer Überzeugung ist nur der Souverän, die deutsche Sprachnation selbst, dazu berechtigt, die deutsche Orthographie zu regeln, und diese orientiert sich dabei einzig und allein am Sprachgebrauch.

8. Zur Regelung der Orthographie bedarf es nur einer vertrauenswürdigen Institution, welche die Nachfolge des DUDEN antritt und dessen - trotz aller Einwände - höchst anerkennenswerte Arbeit in gleichem Geiste fortsetzt. Der Duden selbst kommt als ein privates, im Wettbewerb mit anderen stehendes Unternehmen für diese Aufgabe aus rechtlichen Gründen wohl nicht mehr in Frage.

9. Wir schlagen dafür die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt vor. Sie sollte sich nach unserer Meinung darauf beschränken, ein reines Orthographielexikon auf der Basis der bisherigen und immer noch gültigen Rechtschreibung zu entwickeln, das den Wörterbuchverlagen als einheitliche und zuverlässige Grundlage für die Entwicklung ihrer ja weit umfassenderen Lexika dienen kann.

2. September 1997, Günter Loew, Lehrerinitiative gegen die Rechtschreibreform Hessen

Kommentar von Wolfgang Näser

Das Statement zeigt ganz klar, daß die Rechtschreibreform über das rein Sprachliche hinaus längst zu einem Politikum geworden ist: sicherlich mitverantwortlich dafür, weswegen viele der Involvierten mit Zähnen und Klauen dagegen ankämpfen, ihr Gesicht zu verlieren - sofern noch vorhanden. Von zentraler Wichtigkeit als Diskussionspunkt ist These [7], wo vom Souverän, der deutschen Sprachnation, gesprochen und die orthographische Entwicklung und Normsetzung vom Sprachgebrauch abhängig erklärt wird.

Der Sprachgebrauch des „Souveräns“ richtet sich freilich heute wie nie zuvor nach den Medien. Wenn irgendeine V.I.P. sagt, das mache keinen Sinn, ist es so sicher wie das Amen in der Kirche, daß innerhalb nur weniger Tage oder allenfalls Wochen mindestens die halbe „Sprachnation“ diesen vielmalig durch die Medien lancierten Unsinn durch häufiges Nachplappern „verinnerlicht“ hat und die von mir „inkriminierte“ Abweichung daher - möglicherweise normativ - Teil des Sprachgebrauchs geworden ist. Das gilt auch für Realisieren = erkennen und vieles andere (teils s.o.). Abweichend von LOEW plädiere ich für eine Institution, die in Abwägung kultureller Traditionen und Perspektiven und unabhängig von Eintagsfliegen des Alltagssprachgebrauchs eindeutige und für alle gültige Sprachnormen setzt. Wer auch immer sich in der Öffentlichkeit der deutschen Sprache und Schrift bedient, muß sich auf bestimmte Leitlinien verlassen können und die Gewißheit haben, im Zweifelsfall eine bündige, wissenschaftlich einwandfreie, logische und in jeder Hinsicht zuverlässige Auskunft zu bekommen.

  • Wolfgang Näser: Wider die sprachliche Apartheid! Materialien und Gedanken zur sog. Rechtschreib-Reform - 3. Nachträge und Dokumentation zur Entwicklung ab 1996 - im Netz

Literatur

  • Manfred Riebe, Norbert Schäbler, Tobias Loew (Hrsg.): Der „stille“ Protest. Widerstand gegen die Rechtschreibreform im Schatten der Öffentlichkeit. St. Goar: Leibniz-Verlag, Oktober 1997, S. 298 S., ISBN 3-931155-10-2 (Dokumentation von 21 Initiativen gegen die Rechtschreibreform)

Querverweise

Sachartikel

Personenartikel

Netzverweise

  • Initiative „Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform“ - Wikipedia

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