Systemkritik und gesellschaftliche Transformation

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Der Artikel Systemkritik und gesellschaftliche Transformation stellt den von Dr. Horst Müller (Nürnberg) herausgegebenen Sammelband „Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation“ vor.

„Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation“

Vorstellung des Sammelbandes

Die Beiträge zur 3. PRAXIS-Tagung „Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation“, die im Februar 2010 in Nürnberg stattfand, wurden im November veröffentlicht:

  • Horst Müller (Hrsg.): Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation

Autoren sind Michael Brie (Berlin), Günter Buchholz (Hannover), Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Kassel), Fernand Guelf (Luxemburg), Rainer Fischbach (Berlin), Horst Müller (Nürnberg) und Andreas Willnow (Leipzig).

Die Publikation ist die dritte in der Reihe Studien zur Philosophie und Wissenschaft gesellschaftlicher Praxis. Die Beiträge dokumentieren nicht nur die Vorträge der PRAXIS-Tagung, die im Februar 2010 von der Initiative für Praxisphilosophie und konkrete Wissenschaft in Nürnberg veranstaltet wurde. Sie enthalten beträchtlich weiter gehende Ausarbeitungen des dort Vorgetragenen. Alles zielt, wie der Titel sagt, auf den notwendigen Schritt Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Alternative.

Entsprechende positive, konkrete und praktisch wegweisende Gedanken sind nach dem Zusammenbruch der großen, vorfristigen Hoffnungen des 20. Jahrhunderts und einem anschließenden Vierteljahrhundert liberalistischer Kopfwäsche von elementarer Bedeutung: Eine Kritik des Bestehenden kann allein die Nebelbänke im gesellschaftlichen Bewußtsein, welche die Aussicht auf eine bessere Zukunft verdecken, nicht vertreiben.

So liegt der Schwerpunkt der Beiträge nicht auf der ansonsten vielstimmig artikulierten Wirtschafts- und Gesellschaftskritik oder auf aktuellen Analysen zur Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern ganz entschieden auf weitergehenden Fragen hinsichtlich einer konkreten Alternative und möglichen gesellschaftlichen Transformation. Ein kurzer Gang durch das überlegte Themenspektrum kann die jeweiligen Intentionen, Grundgedanken und den Zusammenhang verdeutlichen:

Der einleitende Artikel spannt mit der Frage nach Aufgaben und Problemen einer Transformationsforschung einen Gesamtrahmen auf. Michael Brie befaßt sich mit dem Ansatz einer Transformationsforschung, die an der Perspektive einer solidarischen Gesellschaftlichkeit entschieden festhält, sich dabei aber über alle wirklichen oder vermeintlichen Gewißheiten hinaus der Komplexität der gesellschaftlichen Prozeßwirklichkeit und den Schwierigkeiten stellt, darin konkrete Schritte und realistische Alternativen auszumachen. Wir erhalten also einen aktuellen Einblick in Fragen einer Transformations- und Strategieforschung.

Eine solche Forschung, die sich durch einen gesellschaftlichen Rundumblick und ein positives, praktisches Zukunftsinteresse auszeichnet, ist die zeitgemäße Form kritischer Gesellschaftstheorie. Sie entspricht dem formationell widersprüchlichen Übergangscharakter der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit und dem Wesen der im Alltag wie in gesellschaftlichen Grundfragen gegebenen Entscheidungssituation. In einem zweiten Themenkreis werden Praxistheoretische Grundlagen einer transformatorischen Forschung und Praxis recherchiert und entwickelt.

Zwei Beiträge machen darauf aufmerksam, daß eine auf gesellschaftliche Veränderung zielende Theorie und Praxis der Vergewisserung bezüglich der mit Marx in die Welt gekommenen dialektischen Wirklichkeits- und Wissenschaftskonzeption bedarf. Ansonsten fehlen entscheidende Begriffe, inhaltliche Konzepte und gesellschaftsgeschichtliche Orientierungen.

Wolfdietrich Schmied-Kowarzik erläutert den weithin immer noch verkannten Charakter und die überragende Bedeutung der Philosophie der Praxis. Vor diesem Hintergrund lautet seine Frage, inwiefern anspruchsvoll vorgestellte Marxinterpretationen der letzten Zeit den Kern treffen oder vielmehr erneut verfehlen. Damit werden für die nahezu unüberschaubar weiter treibende Marx- und Marxismus-Debatte Marksteine gesetzt. Mein eigener Beitrag zu diesem Themenbereich zielt darauf, die im Horizont einer Philosophie der Praxis angelegte Wissenschaftskonzeption des Praxisdenkens konkret und operativ zu machen. Die entwickelten kategorialen und methodologischen Aspekte sind zugleich Schlüsselelemente eines zweiten Beitrags, in dem eine politisch-ökonomische Systemalternative entwickelt wird.

Beide praxistheoretische Untersuchungen zusammen bieten eine konzentrierte Einführung in die Grundlagen und Grundfragen einer Philosophie und Wissenschaft gesellschaftlicher Praxis und schärfen deren paradigmatisches Profil. Damit sollte die Diskussion über die philosophischen und wissenschaftlichen Grundlagen einer modernen, praktisch-kritischen Gesellschaftstheorie neu angestoßen werden.

Eine These lautet, daß der angesprochene Übergangscharakter der Epoche den philosophisch-wissenschaftlichen Ansatz des Praxisdenkens praktisch wahr macht und dadurch seine Weiterentwicklung herausfordert. Dieser Ansatz ist auch ein Schlüsselelement für längst überfällige utopistische Forschungen, die über eine Kritik der politischen Ökonomie hinausgehen und in das Ringen um eine konkrete Alternative für Wirtschaft und Gesellschaft involviert sind. Damit ist der erweiterte Problemkreis von Ökonomie und Politik angesprochen:

Im dritten Themenkreis geht es um Fragen der Wirtschaftstheorie und gesellschaftlichen Transformation. Unübersehbar spielt hier, ökonomisch wie politisch, der moderne Staat mit herein. Zunächst untersucht Günter Buchholz mit Bezug auf die relevanten politisch-ökonomischen Denkschulen von Neoklassik, Keynes und Marx das Staatsverständnis und die Beziehung zwischen Ökonomie und Staat. Die Studie trägt insbesondere zur Kritik der neoklassischen Lehre bei und führt zu dem Schluß, daß politische Transformationsstrategien sich der noch bestehenden Klassenherrschaft bewußt sein müssen, die sowohl das Kapital wie den Staat übergreift. Infolgedessen bleiben alle maßgeblich am Staat orientierten Strategien problematisch.

Das hier mit angesprochene Thema Marx und Keynes sollte als eine wichtige Anschlußstelle für weitergehende wirtschafts- und transformationstheoretische Untersuchungen im Blick bleiben.

Nach dem ernüchternden Verweis auf die allemal wirksamen politischen Schranken jeder gesellschaftlichen Veränderung, verweist Horst Müller auf eine in der sozialkapitalistischen Formierung bereits latent vorhandene und sich geltend machende, durch antisoziale Tendenzen bedrängte und jedenfalls noch kaum begriffene Systemalternative. Die Grundlegung einer Ökonomie des Gemeinwesens zielt auf die Konstitutionselemente und die veränderte Reproduktionsordnung einer Sozialwirtschaft als Systemalternative und die Möglichkeit ihrer Freisetzung in einer Praxis und Politik gesellschaftlicher Transformation. Die Ausarbeitung bringt die Theorie der Sozialwirtschaft auf aktuellsten Stand und benennt praktische Angriffspunkte mit transformatorischer Wertigkeit. Das vorgestellte Konzept legt im Hinblick auf die blühende Landschaft der Alternativideen ganz allgemein nahe, prätentiöse Konzepte für einen gesellschaftlichen Umbau danach zu befragen, inwiefern sie wert-, reproduktions- und praxisanalytisch fundiert sind.

Nach der Vorstellung des ganzheitlichen Entwurfs einer Systemalternative richtet sich der Blick auf einzelne Reformprojekte für Wirtschaft und Gesellschaft. Andreas Willnow untersucht zwei Ansätze, die mit einem tiefgreifend reformerischen Anspruch verbunden sind: Die sogenannte Wertschöpfungsabgabe und das Bedingungslose Grundeinkommen, das aktuell in der Diskussion steht. Die Untersuchungen setzen durch ihre nüchterne, gründliche Art ein Zeichen gegen übertriebene Erwartungen und jeden aufgeregten Konfessionalismus. Sie führen zu einer Relativierung der Möglichkeiten und Wirkungen des Bedingungslosen Grundeinkommens.

Der Autor kam dem ausdrücklichen Wunsch nach, vor dem Hintergrund eigener einschlägiger Studien die Frage der Wertschöpfungsabgabe zu behandeln. Auch hier werden die Zusammenhänge erhellt und insbesondere die reformerischen Effekte abgewogen. Die vormals schon öfters diskutierte und sogar wirtschaftspolitisch geforderte Wertschöpfungsabgabe sollte mit dieser profunden Vorgabe wieder für die Systemdebatte aktiviert werden.

Ein Argument dafür lautet, daß ein Steuerkonzept, welches das Element des Sachkapitals mit anspricht, eine erhebliche Rolle im Hinblick auf eine mögliche systemische Transformation spielen könnte. Demnach wäre die Verdrängung der Fragen einer Wertschöpfungsabgabe oder auch einer Maschinen- bzw. Sachkapitalsteuer eine schwerwiegende theoretische Auslassung und ein grundsätzlicher strategischer Fehler.

Der letzte Schwerpunktbereich der vorliegenden Publikation betrifft die Potentiale und Perspektiven der urbanen Praxis, ein noch viel zu wenig beachtetes Thema. Die urbane Praxis fungiert heute, auch im Hinblick auf ihre kommunale Verfaßtheit, als Grundeinheit sowohl waren- wie sozialwirtschaftlicher Reproduktion sowie primärer Raum menschlicher Lebensverwirklichung und gesellschaftlicher Partizipation. Welche kreativen Kräfte oder transformatorische Potentialität weist dieser Bereich auf?

Fernand Guelf holt den im deutschen Sprachraum noch nie ausreichend rezipierten Praxisdenker Henri Lefèbvre, dessen Idee einer kulturellen Revolution der modernen urbanen Gesellschaft, in die Debatte zurück und belegt ihre ungebrochene Aktualität und Tiefsinn. Rainer Fischbach eruiert zur urbanen Wirklichkeit und zur Stadt der Zukunft mit Blick auch auf die aktuellen Probleme der Kommunalverwaltung und Stadtentwicklung und bis hin zu Fragen, welche die weltweiten Prozesse der Urbanisierung aufwerfen.

Veröffentlichung

Literatur

  • Von der Systemkritik zur gesellschaftlichen Transformation. Anzeige mit Inhaltsübersicht, Vorwort, Abstracts der Beiträge und Angaben zu den Autoren - im Netz
  • Präsentation zur 3. PRAXIS-Tagung 2010. Rückblick auf den Tagungsverlauf mit den ReferentInnen, Hinweisen zu deren Publikationen und Vortragsthemen sowie Bildern zum Tagungsgeschehen - PDF-Datei

Querverweise

Netzverweise

  • Initiative für Praxisphilosophie und konkrete Wissenschaft - im Netz