Babylonische Schriftsprachverwirrung

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Die „babylonische“ Schriftsprachverwirrung hieß ein Flugblatt des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS) vom 13. März 2002.

Zur Geschichte

Anläßlich der Verleihung des Konrad-Duden-Preises 2001 am 13. März 2002 an Professor Dr. Hans-Werner Eroms, Universität Passau, wurde das untenstehende VRS-Flugblatt an die Gäste des Festaktes, größtenteils Teilnehmer der 38. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), am Eingang zum Rittersaal des Mannheimer Schlosses verteilt.

Text des Flugblattes

Die „babylonische“ Schriftsprachverwirrung

... nimmt immer groteskere Ausmaße an. Das große Werk Konrad Dudens, die Einheitsorthographie des Deutschen, wurde von den „Reformern“ zerschlagen.

Heute ist es so ähnlich wie zur Zeit Konrad Dudens in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, als die Rechtschreibung in den einzelnen deutschen Ländern durch Uneinheitlichkeit, Willkür und Verwirrung gekennzeichnet war. Jeder Lehrer schrieb seine eigene Rechtschreibung. Auch heute sind sich (wie damals) oft zwei Lehrer derselben Schule und zwei Journalisten der gleichen Zeitung nicht mehr in allen Stücken über die Rechtschreibung einig, selbst Rechtschreibprogramme können uns nicht helfen. Nun gibt es keine Autorität mehr, die man anrufen könnte. Heute haben Verlage und Agenturen ihre eigenen Hausorthographien, weil die neuen „amtlichen“ und „Toleranz-Metaregeln“ des dritten Berichts der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung nur Verwirrung stiften. Heute ist die Wirrnis infolge der willkürlichen Schriftänderung so groß, daß niemand genau sagen kann, wieviele verschiedene deutsche Rechtschreibungen gegenwärtig existieren. Dieser Zustand ist ein schwerwiegendes Problem nicht nur für die Schulen, sondern für die gesamte Schreibgemeinschaft. Was wird die nächste Pisa-Studie bringen?

Die „neuen“ Regeln fordern geradezu auf, Kommas wegzulassen, alle möglichen Wörter mit „ss“ statt „ß“ zu schreiben, und man muß auch nicht mehr darüber nachdenken, ob man „kennenlernen“ zusammen oder auseinander schreibt. Das persönliche Fürwort „du“ und dessen Ableitungen dürfen klein geschrieben werden, und wenn man ahnt, daß „setzen“ gemäß der überarbeiteten Stammprinzipregeln von „Satz“ kommt, sollte sogar „sätzen“ erlaubt sein. Der Neuschrieb nimmt auf die Belange des Lesenden keine Rücksicht, und so dürfen wir nun munter drauflosschreiben; der Lesende wird schon sehen, wie er zurechtkommt.

Die sogenannte Rechtschreibreform bringt der Sprachgemeinschaft nur Nachteile und droht, unser Deutsch für immer zu verderben. Wenn wir miteinander schriftlich kommunizieren wollen, brauchen wir dafür eine möglichst genaue, eindeutige und vor allem einheitliche Rechtschreibung. Das Lernen nimmt uns keiner ab. Im Zuge der Diskussion um eine Bildungsreform sollte aber darüber nachgedacht werden, wie sich unsere durchaus nicht einfache Rechtschreibung einfacher vermitteln läßt.

Die Politiker sollten den Mut aufbringen, den gegenwärtigen Reformversuch abzubrechen und den deskriptiven Weg [1] einschlagen, lediglich den allgemeinen Sprachgebrauch - wie bisher der Duden - aufzuzeichnen, was auch der freiheitlich-demokratischen Ordnung am besten entspräche. Der Staat sollte sich von Sprachlenkungsversuchen grundsätzlich fernhalten, die gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit erfolgen. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an den Beschluß des Deutschen Bundestags, der am 26. März 1998 feststellte, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: „Die Sprache gehört dem Volk.“ [2]

VRS - Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg, http://www.vrs-ev.de

Literatur

  • Gütersloh und Mannheim liegen bei Babylon. Getrennt wird, was zusammengehört: Die Rechtschreibreform hat bislang nur Verwirrung gestiftet, und das Durcheinander wird von Tag zu Tag größer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 139 vom 19. Juni 1997, S. 39
  • Harald Jähner: Babylon siegt. Die Rechtschreibreform erfand Schreibweisen, die nie in Gebrauch waren und bis heute jeden empfindsamen Leser irritieren. In: Berliner Zeitung Nr. 184 vom 9. August 2000
  • Babylon in Mannheim. Bericht über die Verleihung des Konrad-Duden-Preises 2001 am 13. März 2002 an Prof. Dr. Hans-Werner Eroms - VRS
  • Die deutsche Sprachverwirrung – Fehlkonzept Rechtschreibreform, Schweizer Monatshefte, Zürich, Heft 11, November 2003 - im Netz
  • Braucht es eine Einheitsorthographie von Göschenen bis Flensburg? Adolf Muschg und Horst Sitta diskutieren Sinn und Unsinn der Rechtschreibreform. In: Neue Zürcher Zeitung vom 23. August 2004 - NZZ
  • Rechtschreibreform. „Babylonischer Irrsinn“. Ab 1. August tritt ein Teil der Rechtschreibreform in Kraft, während andere Teile noch überarbeitet werden. In: FOCUS vom 3. Juni 2005 - FOCUS

Querverweise

Netzverweise

  • Diskussion:Babylonische Sprachverwirrung - Wikipedia
  • Walter Krämer: Babylonische Verwirrung der deutschen Sprache. Die Welt, 4. Mai 1998 - im Netz
  • Verwirrung und Beliebigkeitsschreibung im Wiktionary-Wörterbuch - Wiktionary

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Präskription oder Deskription? - VRS-Forum
  2. Rechtschreibung in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Drucksache 13/10183 vom 24. März 1998 - im Netz