Kompetenzproblem der Demokratie

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Das Kompetenzproblem der Demokratie, auch kurz das demokratische Kompetenzproblem genannt, besteht in der Schwierigkeit, die Frage, wie in einer Demokratie sachgerechte Entscheidungen durch Abstimmungen getroffen werden können, zu beantworten. Weil sich nur mangelhafte Lösungen dieses Problems auf die Effektivität von demokratischen Systemen etwa in wirtschaftlicher oder kultureller oder auch sportlicher Hinsicht auswirken, wird das Kompetenzproblem der Demokratie oft auch als das Effektivitätsproblem der Demokratie oder auch als das demokratische Effektivitätsproblem bezeichnet. [1]

Zum Begriff „Kompetenzproblem der Demokratie“

In einer Demokratie, einer Volksherrschaft, besitzen die Staatsbürger als Souverän die Kompetenz, Entscheidungen durch Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip zu treffen. In einer repräsentativen Demokratie wird diese Entscheidungsgewalt an die durch Wahlen bestimmten Volksvertreter übertragen.

Das Kompetenzproblem der Demokratie besteht also in den Fragen, ob und wie sich durch demokratische Abstimmungen Antworten auf Sachverhaltsfragen finden lassen und ob und wie sich durch Wahlen die Personen bestimmen lassen, die die Fähigkeiten (Kompetenzen) besitzen, Sachverhaltsfragen bearbeiten und schließlich beantworten zu können. So läßt sich z. B. ohne Kenntnis der technischen Mechanik nicht darüber abstimmen, ob ein technischer Wirkungsgrad kleiner als, gleich oder größer als 1 ist, und ohne Kenntnis über die Fähigkeiten eines Menschen läßt sich auch nicht darüber abstimmen, ob jemand eine Pferdekutsche fahren kann oder nicht. Das Kompetenzproblem der Demokratie ist darum vor allem ein Kenntnis-, Fähigkeits- und Informationsproblem größten Ausmaßes.

Das Problem läßt sich relativ leicht in idealen Gemeinschaften lösen, in denen jeder jeden kennt und jeder von jedem weiß und beurteilen kann, welche Kenntnisse und Fähigkeiten dieser besitzt und ob er diese auch zum Wohl der Gemeinschaft einsetzen wird. Je größer und komplexer aber die Gemeinschaften werden, umso schwieriger wird die Lösung des Kompetenzproblems der Demokratie. Darum ist das Kompetenzproblem der Demokratie eines der ältesten Probleme der Demokratietheorie.

Durch die Einstellung zur Frage seiner grundsätzlichen Lösbarkeit unterscheiden sich die Demokratietheoretiker in drei Gruppen:

1. Die Demokratiebefürworter, die dieses Problem prinzipiell für lösbar halten. Diese Gruppe sind die politischen Aufklärer.

2. Die Demokratiegegner, die es für unlösbar halten. Diese Gruppe gehört zu den Gegnern der politischen Aufklärung.

3. Die Demokratiekritiker, die der Frage seiner Lösbarkeit ambivalent gegenüberstehen und im wesentlichen nur unbefriedigende Teillösungen annehmen oder erkennen können.[2]

Die Argumentation der einzelnen Gruppen

Spricht man heute Passanten in einer Fußgängerzone des westlichen Kulturkreises an und stellt einfache Fragen gesellschaftlicher oder politischer Thematik oder solche das Allgemeinwissen betreffend, muß sofort das erschreckende Maß an Unwissen der Bevölkerung auffallen. Seine Ursachen liegen in mangelhafter Vermittlung von Unterrichtsstoff dieser Themen an allgemeinbildenden Schulen, mangelnder Unterstützung der Schüler durch ihre Eltern, allgemeines Desinteresse an Wissen, zahlreichen Ablenkungen wie überbordender Fernsehgenuß, sowie indirekt auch an Geldmangel, Angst und Resignation.

Das allgemeine Desinteresse ist dabei von besonderer Bedeutung. Dies trifft nicht nur auf Fragen der politischen Bildung zu. Auch ein politisch ungebildeter Mensch hat in Demokratien eine Stimme; er erfaßt jedoch vielfach nicht die Tragweite möglicher Abstimmungsergebnisse. Damit ist diese Stimme latent anfällig für Manipulationsversuche durch Lobbyisten.

Auch Zeitmangel führt zum selben Ergebnis. Für die meisten Menschen ist Wissen mittelbar nur der Steigbügel, mit dem man seinen Lebensunterhalt erwirtschaften kann. Das, was nicht sofort Erfolg in klingender Münze verspricht, wird bestenfalls überflogen. Auf den meisten Arbeitsmärkten westlicher Prägung werden in vielen Branchen so geringe Gehälter gezahlt, daß für einen Arbeiter nur noch wenig Zeit bleibt, um sich fachlich, sozial oder politisch besser zu qualifizieren. Auch ist der persönliche Handlungsspielraum stark begrenzt. Daß dieser als ein allgemein vorherrschender Zustand in vielen heutigen Demokratien politisch gewollt ist, wird niemand bezeifeln wollen.

Selbst ganz offensichtliche Mißstände werden lieber mit stoischer Ruhe ertragen, als sich mittels demokratischer Prinzipien dagegen aufzulehnen und für eine Änderung des status quo zu sorgen. „Alleine kann ich ja doch nichts ausrichten!“ wird gerne als Ausrede dafür genutzt, sich nicht mit anderen, gleichdenkenden Leuten zusammenzuschließen, um diesem Mißstand zu begegnen. Zu groß scheinen der Aufwand zu sein und die Gefahr, persönliche Nachteile zu erleiden, als daß die Bequemlichkeit besiegt würde. Zu jenen Nachteilen zählen z. B. gesellschaftliche Ächtung im Falle unorthodoxer Forderungen und die Gefährdung des Arbeitsplatzes.

Die Demokratiebefürworter

Ihr Ziel ist es, die Bürger eines Staates zu verantwortungsbewußten und selbstbestimmten Individuen zu formen. Sie müssen nicht einer Meinung sein, sondern eine eigene Meinung besitzen und demokratisch vertreten. Um sich eine Meinung zu bilden, ist aber Bildung (nicht Ausbildung!) nötig. Dies ist für sie zwingende Voraussetzung für einen erfolgversprechenden Lösungsansatz des Demokratieproblems. Weitergehende Hindernisse des Wissensaufbaus würden durch die gesellschaftsweite Stärkung der politischen Kompetenz schrittweise reduziert, was zu einem selbstverstärkenden Effekt führte.

Demokratiegegner

Demokratiegegner sehen insgesamt keine erfolgversprechende Möglichkeit, das Demokratieprinzip durchzusetzen. Sie argumentieren, daß jeder einzelne wahlberechtigte Einwohner eines Landes ein breit angelegtes Wissen über die wichtigsten Funktionsweisen in Politik, Wirtschaft, Ökologie, dem Bildungs- und Sozialsystemen und vieler weiterer Teilbereiche des täglichen Lebens, sowie deren gegenseitiger Verzahnung ineinander aufweisen müßte. Andernfalls sei keine ausreichend kompetente Meinungsbildung zu erlangen, weswegen Wahlen ad absurdum geführt wären. Interessenvertretungen sind generell anfällig für Manipulationsversuche. Da die Bevölkerung eines ganzen Landes (zumindest nicht mit konventionellen Mitteln) zu dieser Wissensfülle auszubilden ist und es Interessengruppen gibt, die dieses Ziel der breiten Allgemeinbildung torpedieren würden, lehnen Demokratiegegner das gesamte Demokratieprinzip ab.

In logischer Konsequenz befürworten Demokratiegegner andere (teilweise bewährte) Regierungsformen. Diese sind z. B. die Monarchie (ein König regiert), Diktatur (ein ziviler Führer regiert), Aristokratie (der Adel regiert), Pluto- und Oligarchie (viele oder wenige Einzelpersonen regieren). Ihnen allen ist gemein, auf eine breite Bevölkerungsschicht als Kompetenzträger zu verzichten. Die Regierungsstrukturen sind gemeinhin schlanker und effizienter, da weniger Meinungen zur Entscheidungsfindung beitragen; jedoch steigt dabei auch die Gefahr falscher Entscheidungen.

Die Befürwortung von der Demokratie entgegenstehenden Regierungsformen fördert als größten Nachteil allerdings Desinteresse und Unwissen in der allgemeinen Bevölkerung und macht Wissen an sich zu einem elitären Machthebel. Als ein solcher wird der Kompetenzaufbau in der Bevölkerung immer schwerer gemacht.

Demokratiekritiker

Die Kritiker des Demokratieprinzips lehnen es nicht per se ab (befürworten es sehr oft sogar), sind sich allerdings der massiven Probleme in seiner praktischen Umsetzbarkeit bewußt. Sie nehmen also die Position einer Zwischenstufe ein, die die Vor- und Nachteile der Demokratie argumentativ gegenüberstellt und dabei oft vermittelnd eintritt.

Im besonderen kommt ihnen die Rolle des Mediators zu, beiden Seiten Befürworter und Gegner der Demokratie die Argumentation der jeweils anderen Partei begreiflich zu machen. Sie erkennen, daß die meisten Anhänger beider Seiten falsche oder bruchstückhafte Kenntnisse der gegnerischen Argumente besitzen und sich über fehlerhafte Schlußfolgerungen den Weg zu einem abgerundeten Bild versperren.

Das Prinzip Demokratie darf nicht als einzig zuzulassende Regierungsform bestehen. Auch im dritten Jahrtausend und in hochentwickelten Industrieländern sind Monarchien nicht außergewöhnlich. Besteht ein Mindestmaß an Vertrauen des Volkes in seinen König und verfügt dieser seinerseits über einen Stab von Beratern mit einem hohen Grad an Kompetenz und Loyalität, so stellen die aus dieser Regierung entstehenden Entscheidungen das Optimum dar. Eine Demokratie muß dagegen nicht notwendigerweise zum selben Ergebnis kommen – besonders nicht in parlamentarischen Demokratien und nicht in dieser kurzen Entscheidungszeit.

Schließlich noch leisten es gerade Demokratiekritiker, auf die vielen Mischformen von Regierungssystemen hinzuweisen, die oftmals den Spagat zwischen den gestellten Anforderungen schaffen. Auch wenn es heutzutage als veraltet betrachtet wird, sei hier beispielhaft das römische Prinzipat erwähnt. Es funktionierte in der römischen Kaiserzeit rund 300 Jahre lang ohne größere Probleme. Dies wurde erzielt, indem es gleichermaßen eine Monarchie (Zäsarentum), eine Aristokratie (Senat) und eine Demokratie (Comitia) enthielt. Alle diese Teile beeinflußten und kontrollierten sich gegenseitig. Das machte das Prinzipat zwar schwerfällig und aufwendig, aber führte zu langfristiger staatlicher Stabilität.

Historische Einstellungen zum Kompetenzproblem und ihre Folgen

1. In der griechischen Antike

Aufgrund des Orientierungsweges der griechischen Antike [3], durch den grundsätzlich an ein im Menschen selbst angelegtes Orientierungsvermögen geglaubt wird, gibt es in der griechischen Antike schon früh Demokratien, in denen das Orientierungsproblem der Demokratie kaum eine Rolle gespielt zu haben scheint, da einerseits die Stadtstaaten übersichtlich klein waren und die wenigen gebildeten Bürger, denen man eine Staatsführung zutrauen konnte, den Bürgern gut bekannt waren. So wurde etwa der athenische Staatsmann und Philosoph Solon schon im Jahre -593 gewählt, um eine Verfassung und Gesetze zur Erhaltung der Demokratie auszuarbeiten. Solon meinte das Kompetenzproblem der Demokratie durch ein passives Zensuswahlrecht zu lösen, durch das vier Klassen der Wählbarkeit nach dem Vermögen der Bürger bestimmt wurden. Schon Sokrates verwarf die Lösung des demokratischen Kompetenzproblems mit Hilfe des passiven Zensuswahlrechts [4]. Sokrates erkannte das demokratische Kompetenzproblem in aller Deutlichkeit.[5] Er war davon überzeugt, daß es nur auf dem Weg der Selbsterkenntnis lösbar ist, auf dem sich der Mensch prüft, wie es um seine Brauchbarkeit für das menschliche Leben steht[6]. Durch diesen Weg der Selbsterkenntnis würde der Mensch zur Selbstbestimmung fähig und dadurch erkennen, in welcher Hinsicht er sein Wissen erweitern und Fähigkeiten erwerben kann, um seine Brauchbarkeit zu erhöhen. Dieser Weg zur Selbstbestimmung durch Selbsterkenntnis ist aber nach Sokrates nur durch Wahrhaftigkeit nach innen und nach außen vernünftig[7].

Sokrates’ berühmtester Schüler Platon hat sein Vertrauen in die Lösbarkeit des demokratischen Kompetenzproblems spätestens mit der Hinrichtung seines Lehrers Sokrates verloren; denn Sokrates, den Platon für den gerechtesten Bürger Athens hielt[8], wurde von demokratisch gewählten Richtern aufgrund von demokratisch zustandegekommenen Gesetzen zum Tode verurteilt. Platon hat darum mühevoll eine Philosophie entwickelt, die es ihm in seiner Politeia (Der Staat) erlaubte zu zeigen, daß nur die Aristokratie, die Herrschaft der Gebildeten (möglichst der Philosophen), Gerechtigkeit und Sicherheit für die Menschen bieten könne und daß in diesen Hinsichten die Demokratie die zweitschlechteste aller Staatsformen sei, weil sie zwangsläufig in die [Tyrannis] führe[9]. Im Laufe der Geschichte ist jedoch Platons Staat immer wieder zum Vorbild zur Errichtung von Diktaturen geworden, weil die Überzeugung von der Unlösbarkeit des demokratischen Kompetenzproblemes zwangsläufig undemokratische Staatsformen zur Folge hat.

2. Im Mittelalter

3. In der frühen Neuzeit

4. Im 18., 19. und 20. Jahrhundert

Fehlentscheidungen als Folge des Kompetenzproblems der Demokratie

Die demokratischen Wahlen haben in den sogenannten westlichen Demokratien die Funktion, die Legislative, die Exekutive und über Umwege auch die Judikative zu bestimmen. In jeder dieser drei Gewalten, die vermittelst der Wahlen indirekt vom Volk ausgeübt werden, sind schwerwiegende Sachentscheidungen zu treffen. Wenn das Kompetenzproblem der Demokratie nicht gelöst wird, muß es bei diesen Entscheidungen innerhalb der drei Gewalten aufgrund von Inkompetenz immer wieder zu Fehlentscheidungen kommen, die sich negativ für die Entwicklung des demokratischen Gemeinwesens auswirken [10]. Für eine gedeihliche Entwicklung der demokratischen Staaten ist es darum unerläßlich, mögliche Lösungen des Kompetenzproblems der Demokratie anzugeben, zu diskutieren und zu erproben, um auf diese Weise womöglich dauerhafte Lösungen zu finden [11].

Traditionelle Problemlösungsansätze

Gemäß der aristotelischen Staatstheorie ist den Frauen und den Kindern generell die nötige Entscheidungskraft zum Lösen von Problemen abgesprochen worden. Darum hatten die Frauen und die Kinder in den ersten demokratischen Staatsformen kein Stimmrecht. Inzwischen hat sich die aristotelische Auffassung in bezug auf die Frauen als Irrtum erwiesen, und es gilt in den westlichen Demokratien inzwischen gleiches Wahlrecht für Männer und Frauen (siehe: Frauenwahlrecht). Auch ist in vielen demokratischen Staaten das Wahlrechtsalter für Heranwachsende heruntergesetzt worden. Die traditionellen aristotelischen Lösungsansätze des Kompetenzproblems der Demokratie haben sich als untauglich erwiesen.

Es ist eine andere alte Tradition, bestimmte Problemlösungskompetenzen nur Mitgliedern von privilegierten Fachverbänden zuzuerkennen und diese durch demokratisch bestimmte Gesetze zu legitimieren. Dazu gehören noch heute die Gesetze, die etwa Handwerkerschaften, Ärzteschaften oder verschiedenen juristischen Berufsgruppen besondere Rechte zusichern. Es hat sich aber auch hier gezeigt, daß es ein Irrtum ist, anzunehmen, daß eine bestimmte Fachkompetenz nur durch den Ausbildungsgang, der für die Mitgliedschaft in privilegierten Berufsgruppen bindend vorgeschrieben ist, zu erwerben ist. Im Gegenteil hat sich gezeigt, daß größere Freiheit in den Möglichkeiten, Fachkompetenz zu erwerben zu sehr viel mehr Kompetenz führt. Insbesondere gilt dies für die längst überfällige Abschaffung der Privilegien von juristischen Berufsgruppen.

Eine bereits auf die Antike zurückgehende Tradition ist das Zensuswahlrecht, das eine Gewichtung der Stimmen eines Wählers nach seinem Steueraufkommen oder dessen Vermögen vorsieht. Diese besondere Demokratieform ist ebenso wenig wie das Klassenwahlrecht, das in Preußen seinen Ausdruck im Dreiklassenwahlrecht fand, aus prinzipiellen Gründen nicht geeignet, das Kompetenzproblem der Demokratie einer Lösung näher zu bringen.

Die sokratische Problemlösung

Der historische Sokrates, wie ihn sein Schüler Xenophon überliefert hat [12], ist ein - wenn nicht gar der erste - Philosoph der Demokratie gewesen; denn Sokrates hat versucht, die Menschen über den Weg der Selbsterkenntnis zur Selbstbestimmung zu befähigen, welches die individuelle Voraussetzung für das Funktionieren einer Demokratie ist. Als Philosoph der Demokratie hat er sich auch schon Gedanken über das Kompetenzproblem der Demokratie gemacht, wenngleich er es freilich nicht so bezeichnet hat. Dies geschieht bei Sokrates über seine Maxime, möglichst genau zu wissen, worüber man nichts weiß, um nach seinem Wahrhaftigkeitsprinzip auch nicht ein Wissen vorzutäuschen, das man nicht besitzt oder eine Fähigkeit, über die man gar nicht verfügt.[13] Wer sich für eine Position innerhalb des Staates zur Wahl stellt, gibt nach Sokrates damit auch das Versprechen ab, das Wissen und die Fähigkeiten zu besitzen, um diese Position sachgerecht ausfüllen zu können. Wenn derjenige nun durch die Wahl die von ihm angestrebte Position erreicht und es sich später herausstellt, daß er nicht in der Lage ist, die mit dieser Position verbundenen Aufgaben sachgemäß zu bewältigen, dann ist dieser als Betrüger entlarvt und muß sich wegen schweren Betrugs verantworten.

Problemlösungsversuche in den westlichen Demokratien

Die sogenannten westlichen Demokratien stehen in einer wirtschaftlichen und kulturellen Konkurrenz vor allem mit Staatsformen Ostasiens aber auch mit Staatsformen islamischer Prägung. Für das Behaupten in diesem Konkurrenzkampf kommt es darauf an, ob für das Kompetenzproblem der Demokratie in den westlichen Industrienationen tragfähige und praktikable Lösungen gefunden werden. Die politischen Parteien bilden derzeit Fachausschüsse aus, um in diesen Fachkompetenz zu bilden. Deses Instrument hat sich bisher nicht als sehr tauglich zur Lösung des demokratischen Kompetenzproblems erwiesen. Dagegen bilden sich in China, Korea und in Südostasien mehr und mehr technokratische Organisationsformen aus, durch die das Kompetenzproblem in Richtung auf eine Effektivitätsteigerung aber zu Ungunsten der demokratischen Entwicklung gelöst wird, wodurch eine bedenkliche wirtschaftliche Konkurrenz der Staatsformen zwischen Europa und Ostasien entsteht.

Das Kompetenzproblem der Demokratie erkennt man in Deutschland zum einen an zahlreichen Fehlentscheidungen der Legislative, Exekutive und Judikative, aus denen sich eine Politikverdrossenheit und eine sinkende Wahlbeteiligung ergibt, und zum anderen an einer Verhinderung direkter Demokratie auf Länder- und Bundesebene. Deshalb entstand 1988 Mehr Demokratie e.V., eine deutschlandweite Organisation, die sich für direkte Demokratie auf allen Ebenen des Bundesstaates einsetzt.

In Deutschland ist zwar in den Länderverfassungen alternativ als Möglichkeit einer direkten Demokratie eine Volksgesetzgebung vorgesehen. Dafür wurde gesetzlich auch ein Verfahrensweg von der Volksinitiative über das Volksbegehren bis zum Volksentscheid eingerichtet. Aber das Kompetenzproblem der Demokratie zeigte sich dennoch besonders deutlich bei der Frage der Einführung der Rechtschreibreform. Volksbegehren auf Länderebene hatten in den meisten Ländern keine Chance, weil die erforderliche Zahl der Unterschriften viel zu hoch und die Zeitdauer für das Sammeln der Unterschriften zu niedrig angesetzt sind, [14] wogegen „Mehr Demokratie“ angeht. Auch gibt es auf Bundesebene – anders als z.B. in Frankreich und Großbritannien - keinen Volksentscheid. Das spielte z.B. in der Europäischen Union bei der Einführung des Euro und einer Europäischen Verfassung eine Rolle. Der Euro wäre bei einem Volksentscheid auf Bundesebene nicht eingeführt worden. Es gäbe auch keine Bundeswehreinsätze im Ausland. Über das Kompetenzproblem der Demokratie wird zwar diskutiert, aber man weicht einer Lösung aus, weil die Parteien ihre Vormachtstellung nicht schwächen wollen und man daher Fachkompetenz nicht einschaltet.

Eine umstrittene Problemlösung ist die Einschaltung von sogenannten Experten-Kommissionen, deren Auswahl aber weitgehend von Lobbyisten vorgenommen wird. Denn der zunehmende Einfluß des Lobbyismus ist eine Folge des ungelösten demokratischen Kompetenzproblems. Die großen Interessenvertretungen kaufen sich höchstqualifizierte Experten ein, damit diese mit ihrer Kompetenz die Interessen der Lobbyisten möglichst effektiv durchsetzen können, wobei das Interesse der Allgemeinheit auf der Strecke bleibt.

Will man also an einer Demokratie festhalten, sich aber die Herrschaft des Volkes nicht sofort wieder durch Lobbyismus oder Parteiengeklüngel aus der Hand nehmen lassen, kommt man nicht drum herum, das Volk in einen Zustand zu versetzen, in dem es zu rationellen Entscheidungen auf breiter Front imstande ist. Dies ist die breit angelegte Bildung. In Zeiten von maximiertem Eigennutz, riesigen Bildungslücken und allgemeiner Gleichgültigkeit in der Bevölkerung muß ein erfolgversprechender Weg moderne Technologien nutzen, für so gut wie jeden Bürger hochqualitative Bildung verschaffbar machen und kosteneffizient sein. Es läuft also auf ein Bildungsfernsehen[15] von Bürgern für Bürger hinaus, das allerdings professionell aufgezogen sein muß.

Literatur

  • Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung. Verfassungskonkretisierung als Methoden- und Kompetenzproblem, Duncker & Humblot, Berlin 1969, ISBN 3428019172.
  • Peter M. Huber, Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren als Kompetenzproblem in der Gewaltenteilung und im Bundesstaat, Taschenbuch 1988, ISBN 3882595329.
  • Klaus D. Wolf, Die Neue Staatsräson. Zwischenstaatliche Kooperation als Demokratieproblem in der Weltgesellschaft, Nomos Verlag, Baden-Baden 2000, ISBN 3789065161.
  • Gabor Steingart, Weltkrieg um Wohlstand: Wie Macht und Reichtum neu verteilt werden Piper Verlag, München 2006, ISBN 3-49204761-0.
  • Michael Rahnfeld (Hg.), Gibt es sichere Erkenntnis?, 5. Band der Reihe Grundlagenprobleme unserer Zeit, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006, ISBN 3-86583-128-1, ISSN 1619-3490

Querverweise

Netzverweise

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Anmerkung: Dieser Artikel wurde in der Wikipedia am 18. Dezember 2006 gelöscht. Er stammt im Kern von Professor Wolfgang Deppert. Er wurde von Benutzer:FriedrichG bearbeitet und ergänzt. --Manfred Riebe 11:20, 18. Jan. 2010 (CET)
  2. Vgl. z.B. Moritz Mauer: Demokratiekritik, Abschnitt 3.2 Effizienz
  3. Vgl. Wolfgang Deppert: Relativität und Sicherheit, in: Michael Rahnfeld (Hg.), Gibt es sichere Erkenntnis?, 5. Band der Reihe 'Grundlagenprobleme unserer Zeit', Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006, ISBN 3-86583-128-1, ISSN 1619-3490, S. 90-188.
  4. Vgl. Xenophon, Erinnerungen an Sokrates, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1992, ISBN 3-15-001855-2, 2.Buch Kap.7 und besonders 3.Buch Kap.9 Abs.10f.
  5. Vgl. ebenda, 3. Buch Kap.1
  6. Vgl. ebenda, 4.Buch Kap.2 Abs.25
  7. Vgl. ebenda 1. Buch Kap.7
  8. Vgl. Platons Apologie und Kriton
  9. Vgl. Platon, Der Staat, Buch 8, Kap.4
  10. Burkhard Wehner: Unterschlagene Grundrechte in der Demokratie (2) - Zur Mitschuld der Bürger am Zustand der Demokratie. 04/2003, PDF
  11. Burkhard Wehner: Vernunft oder Zufall - Was bestimmt die Entwicklung der Demokratie? 03/2006, S.6, PDF
  12. Xenophon, Erinnerungen an Sokrates, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1992, ISBN 3-15-001855-2.
  13. Vgl. ebenda 1. Buch 1, Kap.7, S. 35f.
  14. Hans Herbert von Arnim: Vom schönen Schein der Demokratie, Politik ohne Verantwortung - am Volk vorbei. München: Droemer Verlag, 2000, 391 S., ISBN 3-426-27204-0 (darin: Ausgehebelt: Ist direkte Demokratie unerwünscht? S. 210-244)
  15. Ein bereits angedachtes Projekt eines Bildungsfernsehens findet man unter http://wpö.de/index.php?P_Bildungspolitik