Vermeidungsschreibung

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Vermeidungsschreibung ist die Verwendung synonymer Wörter der allgemein gebräuchlichen traditionellen Orthographie anstatt grammatikalisch falscher oder unästhetisch plumper Schreibweisen der Schulschreibreform von 1996.

Theodor Ickler: Die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer Darstellung, 2000

Zum Begriff

Seit 1996 an Schulen die Schulschreibreform eingeführt wurde, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung als „überflüssig wie ein Kropf“ abgelehnt wird, so auch vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, [1] hat sich der Trend zur Vermeidungsschreibung verstärkt, da man auf diese Weise unerwünschten Schreibzwängen ausweichen kann.

Schreibberufler, die beruflich gezwungen werden, den Neuschrieb zu verwenden, sind oft angewidert von dessen Primitivität und Häßlichkeit. Daher suchen sie nach anderen Wörtern in traditioneller Rechtschreibung. So kommt es zu einer „Vermeidungsschreibung“. In der Vermeidungsschreibung drückt sich auch die fehlende Akzeptanz der grammatisch oft falschen Schlechtschreibreform aus.

Mit Hilfe der „Vermeidungsschreibung“ können Schüler, Journalisten und andere Schreibberufler Schreibzwängen der Rechtschreibreform von 1996 ausweichen und unerwünschte Schreibweisen vermeiden, indem sie die Schreibweisen hervorragender deutschsprachiger Schriftsteller und Literaturpreisträger in traditioneller Qualitätsorthographie wählen.

Mit Verstand und Zivilcourage schreiben

Die Gesamtschulrektorin der Carl-Zeiss-Oberschule Berlin-Lichtenrade, Gisa Berger, die Leiterin der Berliner Lehrerinitiative gegen die Rechtschreibreform, erhielt am 12. Februar 1998 im Rahmen einer großen Gala im Fürstbischöflichen Opernhaus in Passau von der „Passauer Neuen Presse“ den BÜRGER-OSCAR 1998 für Zivilcourage für ihren unerschrockenen Kampf gegen die Rechtschreibreform. Die Nachrichtenagenturen und die Presse schwiegen sich darüber aus.

Gisa Berger sagte: „Der Beamteneid darf doch nicht bedeuten, daß ich meinen Verstand an der Gepäckaufbewahrung abgebe.“ - „Ich tue, was ich nicht darf.“ [2]

Irreführendes in Wiktionary

In Wiktionary wird irreführend behauptet:

  •  »daß (Deutsch)

Bei daß handelt es sich um eine alte Schreibweise von dass. Sie ist nach den aktuellen amtlichen Rechtschreibregeln vom 1. August 2006 nicht mehr korrekt. Alle Informationen findest du daher im Eintrag dass. Bitte nimm Ergänzungen auch nur dort vor.«

Richtig ist dagegen: Sogenannte „amtliche Rechtschreibregeln“ gibt es auf Grund von Kultusministererlassen nur für die Schulen. Sie sind nicht allgemeingültig, weil es kein Rechtschreibgesetz gibt.

Aus der Praxis

Beispiel 1

Theodor Ickler schrieb:
»Wie oft mag man in Zeitungsredaktionen zu Vermeidungsschreibweisen greifen? An den Jahrgangs-CDs läßt sich die Vermeidung statistisch nachweisen. Schon Helmut Markwort (FOCUS) vermutete etwas Derartiges.

Kürzlich hatte meine achtjährige Tochter einen Text verfaßt und mit einer Überschrift versehen, in der „der Kleinste“ vorkam. Die Lehrerin erklärte sich für außerstande, die richtige Schreibweise herauszufinden, und bat meine Tochter, eine andere Überschrift zu wählen.«
__________________

Th. Ickler eingetragen von Theodor Ickler in Rechtschreibung.com am 11.07.2001 um 05.45

Beispiel 2

Die Übersetzerin Ursula Morin schrieb:
»Da sich mir bei nahezu allen „Neuschreibungen“ die Finger über der Tastatur sträuben, benutze ich Umschreibungen u.ä. Das „ss“, das nun dank Drei-Konsonanten-Regel oftmals zum unleserlichen „sss“ wird, ist allerdings ein Problem, das sich nicht so leicht aus der Welt schaffen läßt. Hier ein Tip für Leute, die vielleicht in der gleichen Lage sind: ich habe „ß“ in diesem Zusammenhang als Hausorthographie wieder eingeführt – d.h. „Anschlußspannung“, „Ausschußsitzung“ usw. – und meinen Kunden erklärt, daß ich dies aus Gründen der besseren Lesbarkeit tue. Bisher hat noch keiner protestiert!«[3]

Neuschrieb > Vermeidungsschreibung

Schriftsteller können sich auf ihr Urheberrecht berufen und ihre traditionelle Qualitätsorthographie durchsetzen. Aber ein Journalist oder eine Übersetzerin sind schlechter dran, wenn ihr Auftrag lautet, den Neuschrieb anzuwenden. Müssen sie zähneknirschend jeden Unsinn mitmachen? Oder können Sie dem sprachlichen Psychoterror ausweichen? Sie suchen nach „Vermeidungsschreibungen“:

  • aufwändig > kostspielig, teuer > vgl. aufwendig / aufwändig
  • Ausschusssitzung > Sitzung des Ausschusses
  • Basssaiten > Baßsaiten (kann man besser lesen)
  • „er sagte, dass“ > „er sagte, er habe“ (indirekte Rede, Konjunktiv)
  • kaum dass > kurz nachdem
  • sodass > damit, um
  • genusssüchtig > genußsüchtig (kann man besser lesen), gefräßig, konsumsüchtig, schwelgerisch, verschwenderisch
  • Geografie > gemäß Wikipedia Geographie
  • im Übrigen > ansonsten
  • Die Schüler tun mir Leid. > Die Schüler bedauere ich.
  • Missstand > Mißstand (kann man besser lesen), schlechter Zustand, Übel
  • Orthografie > gemäß Wikipedia Orthographie
  • Platz sparend > äußerst platzsparend
  • Presssack > auch: Press-Sack(!) :-))
  • Pressspan > auch: Press-Span(!) :-))
  • Schlusssatz > Schlußsatz (kann man besser lesen), letzter Satz, Endsatz
  • selbstständig > eigenständig > vgl. Selbständig / selbstständig
  • Tipp > Empfehlung, Hinweis, Ratschlag
  • zurzeit > derzeit

Wörterbücher als Hilfsmittel

  • DUDEN BAND 8: Sinn- und sachverwandte Wörter. Wörterbuch der treffenden Ausdrücke. 2., neu bearbeitete, erweiterte und aktualisierte Auflage, Hrsg.: Wolfgang Müller, Mannheim: Bibliographisches Institut, Dudenverlag, 1986, 800 Seiten
    • Anmerkung: Die 2. Auflage war die letzte in traditioneller Orthographie und ist daher zu empfehlen. Dieser Duden hilft beim Finden passender Ausdrücke und beim Ersetzen sich häufig wiederholender Wörter.
  • DUDEN BAND 8: Synonymwörterbuch, 3., völlig neu erarbeitete Auflage, Mannheim: Bibliographisches Institut, Dudenverlag, 2004, 1104 Seiten
  • DUDEN, Band 9: Richtiges und gutes Deutsch, Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle. 3., neu bearb. u. erw. Auflage, Mannheim: Bibliographisches Institut AG, 1985
    • Anmerkung: Diese ältere Auflage ist noch in der bewährten traditionellen Orthographie verfaßt. Man erhält sie recht preisgünstig bei Ebay-Versteigerungen. In den folgenden Auflagen ist die neue verwirrende Beliebigkeitsschreibung enthalten.
  • DUDEN, Band 9: Richtiges und gutes Deutsch. 5., neu bearbeitete Auflage, 2001, 983 Seiten
  • Theodor Ickler: Das Rechtschreibwörterbuch. Die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer Darstellung. Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen. St. Goar: Leibniz Verlag, 2000, 519 S., ISBN 3-931155-14-5
    • Horst Haider Munske: Das wohltemperierte Wörterbuch. Einfach weise: Theodor Icklers sanft reformierte Orthographie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. September 2000 - PDF-Datei
  • Theodor Ickler: Normale deutsche Rechtschreibung. Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen. 4. erweiterte Auflage, St. Goar: Leibniz Verlag, 2004
  • Ulrich Ammon, Rhea Kyvelos, Hans Bickel, Regula Nyffenegger, Jakob Ebner, Ruth Esterhammer, Markus Gasser: Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2004, LXXV, 954 S., ISBN 3-11-016575-9
  • Karl Peltzer, Reinhard v. Normann: Das treffende Wort. Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke; zu den meisten Stichwörtern Gegenbegriffe; auf der Grundlage der neuen deutschen Rechtschreibung. 27. Auflage. Thun: Ott, 2004, 863 S., ISBN 3-7225-6136-1
  • Wiktionary, das freie Wörterbuch - Wiktionary (enthält auch Synonyme)

Literatur

Querverweise

Netzverweise

  • Der DUDEN für Zweifelsfälle, Band 9 - VRS-Forum

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Roman Herzog: „Kultusminister sind aufgrund ihres geistigen Zuschnitts nicht in der Lage, über die Grenzen ihres Bundeslandes hinaus zu denken. Historiker könnten nicht universalgeschichtlich denken. Er pfeife auf die Vermittlung der Daten deutscher Kaiser und Könige, wenn die Sicht auf die Weltkugel von außen fehle. ... Daß er in solchen Zusammenhängen ... die Auseinandersetzung über die Rechtschreibreform verächtlich kommentiert - überflüssig wie ein Kropf – verwundert nicht.“ Vgl. H. J. Schöttes, H. Rossler-Kreuzer: In Schanghai fühlte sich Herzog 'pudelwohl' - und teilte aus. In: Nürnberger Nachrichten vom 23. November 1996, S. 3
  2. BÜRGER-OSCAR für Zivilcourage für Gisa Berger - VRS-Forum
  3. Kommentar von Ursula Morin, verfaßt am 19.08.2005 um 14.40 Uhr Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=325#1507