Bürgerbegehren „Historischer Rathaussaal“

Aus NürnbergWiki
Wechseln zu: Navigation, Suche

Diese Information über das Bürgerbegehren „Historischer Rathaussaal“ stand auf der Hauptseite des NürnbergWiki und wird hier als zeitgeschichtliches Dokument gespeichert.

Geschichte des Bürgerbegehrens

Am 6. August 2012 stellte die Nürnberger Zeitung die Frage „Dürer-Kopie zurück in den Rathaussaal?“ [1] Mit „Ja“ antworteten 74 Prozent, mit „Nein“ 26 Prozent.[2]

Die Altstadtfreunde Nürnberg riefen deshalb am 18. Januar 2014 anläßlich der Kommunalwahl vom 16. März 2014 zu einem Bürgerbegehren für die Bemalung des Historischen Rathaussaales Nürnberg nach den Entwürfen Albrecht Dürers auf. Das Bürgerbegehren soll zu einem Bürgerentscheid führen. [3] Siehe hierzu den Artikel „Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern“.

Im Gegenzug schlägt Oberbürgermeister Ulrich Maly nun ein Ratsbegehren über die Ausmalung des Rathaussaales am 25. Mai vor, dem Tag der Europawahl. Die Altstadtfreunde wollen aber eine komplette Rekonstruktion. Doch der Stadtrat legt die Fragestellung fest und das erst nach der Kommunalwahl vom 16. März 2014, bei der die Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt werden sollen. Nach Malys Vorstellung kann es drei Abstimmungsvarianten geben. Das aber würde zu einer Stimmenzersplitterung führen. [4]

Der bayerische Finanz- und Heimatminister Markus Söder befürwortet die Ausmalung des historischen Rathaussaals. Der rekonstruierte Rathaussaal solle dann aber endlich auch für Nürnberg-Besucher geöffnet werden und somit die Wahrnehmung Nürnbergs steigern und nicht nur wie bisher als Veranstaltungssaal dienen. Doch die genaue Formulierung des Abstimmungstextes des Ratsbegehrens sei ein Problem, da die Stadtspitze keine unkontrollierte Entscheidung von der Bürgerschaft möchte. Deute man die Organisation des Ratsbegehrens als ein Ablenkungsmanöver, könne es noch viel Ärger geben. Söder: „Ich hätte es besser gefunden, man hätte es über die Altstadtfreunde machen lassen. Sie sind eine Bürgerbewegung.“ [5] Markus Söder hat damit eine Stimmungsmache der SPD mit Hilfe ausgesuchter „Fachleute“ gegen die CSU ausgelöst, wie dies in Nürnberg schon häufig der Fall war.

Ratsbegehren als politischer Schachzug

Dient das Ratsbegehren der Information und der Desinformation?
Das ursprünglich demokratische Bürgerbegehren wurde in ein Ratsbegehren der Nürnberger Stadtverwaltung umfunktioniert. Die führenden Politiker gehören in Personalunion der Stadtverwaltung und einer Partei an. Daher ist von Neutralität keine Spur: Die Stadtregierung nutzte ihren Propagandaapparat inklusive Presse- und Informationsamt, um ihre Meinung durchzusetzen: „Stimmen Sie bitte beim Bürgerentscheid am 25. Mai 2014 mit „Nein“, heißt es im Faltblatt der Stadt Nürnberg. Wessen Meinung? Hatte der Stadtrat oder der Oberbürgermeister den Text des Faltblattes beschlossen?

Gegen diese Meinungsmache wendet sich der Nürnberger Historiker und Leiter des Staatsarchivs Nürnberg, Dr. Peter Fleischmann, der am Lehrstuhl für Bayerische und Fränkische Landesgeschichte lehrt, der parteilos und kein städtischer Beamter ist, in einem Interview mit der Nürnberger Zeitung.

Historischer Rathaussaal Nürnberg
vor seiner Zerstörung am 2. Januar 1945
Foto: Stadtarchiv Nürnberg
Der 1996 wiederhergestellte Goldene Saal in Augsburg, ein Touristenmagnet
Foto: Stadt Augsburg
















Peter Fleischmann erinnert an die zeitübergreifenden Werte und Tugenden, die im Historischen Rathaussaal in den Wandgemälden Albrecht Dürers dargestellt wurden. Für ihn wäre die Wiederbemalung des Rathaussaals nach Motiven von Albrecht Dürer der ideelle und formale Abschluß des Wiederaufbaus der Stadt Nürnberg. Der Rathaussaal sei der vornehmste Saal Nürnbergs. Dürer habe in Absprache mit Willibald Pirckheimer ein einzigartiges Bildprogramm für sein Wandgemälde entworfen, das keine andere Stadt zu bieten habe: ein konkretes ethisch-moralisches Programm.

„Darin stecken die höchsten Maximen für Politiker, auch für die heutigen, und eine gesellschaftsübergreifende Botschaft: Es braucht Gerechtigkeit, wofür die Apelles-Szene steht, und die Tugenden, die Kaiser Maximilian den Weg geleiten.“

Authentizität zu verlangen, hält Fleischmann für ein Scheinargument; denn es gehe nicht um ein Bild, sondern um ein Wandgemälde. Von Albrecht Dürer stamme der Entwurf, aber Dürer habe nicht mitgemalt, andere Maler hätten das Konzept Dürers ausgeführt. Auch bei dem Entwurf von Michael Mathias Prechtl wäre es so gewesen. Prechtl habe dazu geschrieben, daß deshalb bei der Realisierung die Ausführung eine andere Qualität bekomme. Fleischmann hält es daher für fahrlässig, von Kopie zu reden, da von Dürer immer nur die Vorlage stammte. Fleischmann sagt:

„Nach den Vorlagen der sehr sensiblen Wiederbemalung von 1904/05 kann man das wieder schaffen.“

Er verstehe nicht, daß die Nürnberger keinen Lokalpatriotismus und Stolz entwickeln, um dieses Dürer-Konzept wieder ins Rathaus zu bringen. Die Bürger vieler anderer Städte hätten sich für Rekonstruktionen eingesetzt: Die Münchner stellten ihre Residenz wieder her, die Frankfurter das Goethehaus, die Augsburger den Goldenen Saal, die Dresdner die Frauenkirche, die Petersburger das Bernsteinzimmer. Es gebe zu wenig Identifikation der Bürger mit der Stadt. Grund dafür sei „eine gewisse ideologische Ferne“, eine fehlende Aufgeschlossenheit für die eigene Vergangenheit, den Bezug zu Kaiser und Reich. Das Konzept des Kulturreferats mit elektronischen Medien könne man in zehn Jahren ins Museum Industriekultur tragen. [6]

Zur „ideologischen Ferne“: Bereits am 17. Oktober 2012 hatte Dr. Anja Prölß-Kammerer als stellvertretende Fraktionsvorsitzende für die SPD-Fraktion verkündet, daß es ihr Schwierigkeiten bereite, für die Rekonstruktion Fotos zu verwenden, die von den Nationalsozialisten 1943 angefertigt wurden. [7] Hintergrund dieser Äußerungen ist ihre Dissertation über „Die Tapisserie im Nationalsozialismus“ und ihre Beschäftigung mit dem Rechtsextremismus in Nürnberg. [8] André Freud (CSU) stellte fest, es handele sich bei den Fotos „nicht um NS-Propaganda; die Bilder sind keine Nazi-Bilder. Es sind dokumentarische Aufnahmen, es sind rein sachliche Bilder, ohne jede politische Implikation.“ [9]

Wenn die Nürnberger Erinnerungskultur glaubwürdig sein will, kann sie sich nicht einseitig auf die Aufarbeitung und Dokumentation der Zeit des Dritten Reiches beschränken. Gerade eine Stadt der Reichsparteitage und eine Stadt des Friedens und der Menschenrechte sollte sich auf die Menschenrechte der Bürger in allen Zeiten besinnen.

Die bemerkenswerte Stimmungsmache gegen rechts, wohl auch gegen die CSU, versteckt die Stadtregierung nun hinter dem Argument einer Kostenschätzung von bis zu 9 Millionen Euro für die Ausmalung des Rathaussaales. Für Peter Fleischmann ist dies ein „billiger Bluff“: Wenn die Politik etwas möchte, dann rechne sie die Kosten herunter (wie bei der Kunstvilla). Wenn sie etwas nicht möchte, mache sie es umgekehrt, wie hier beim Rathaussaal. Die Altstadtfreunde bestreiten die Schätzung der Stadtverwaltung. Der Steinmetz Harald Pollmann berichtet, man habe die Kostenschätzung aus den 1980er Jahren mal vier genommen. Doch die Handwerkerlöhne hätten sich nicht vervierfacht. Er halte die Kostenschätzung für ein taktisches Manöver von OB Ulrich Maly und Kulturreferentin Julia Lehner, um die Ausmalungs-Befürworter auszubremsen. Karl-Heinz Enderle und Pollmann halten einen Betrag zwischen drei und fünf Millionen Euro für realistisch. Außerdem würde wie beim Pellerhof der Großteil aus Spenden kommen. Dort kamen von der Stadt Nürnberg null Euro. Die Altstadtfreunde argumentieren, der Rathaussaal wäre eine touristische Attraktion, die Stadt könne einen Obulus für Führungen verlangen und so die Investition refinanzieren. [10]

Einige Indizien deuten auf eine Machtkampf zwischen den Rathausfraktionen der CSU und der SPD und auch zwischen Markus Söder und Ulrich Maly hin. Im Ratsbegehren tritt an die Stelle der Information eine Desinformation, die ein Bluff ist und an Volksverdummung grenzt.

Inzwischen distanzierte sich Ulrich Maly ein wenig vom Kostenargument seiner Mitarbeiter, aber ohne es offiziell zu dementieren. So forderte nun auch der DGB Nürnberg, keine Haushaltsgelder bereitzustellen. Man lehne eine Ausmalung zwar nicht grundsätzlich ab, aber sie müßte aus Spendengeldern finanziert werden. [11] Doch allein der Umbau der neuen Nürnberger Kunstvilla in der Blumenstraße 17 hat 6,29 Millionen Euro gekostet. Davon zahlte der Freistaat 2,5 Millionen Euro. Hinzu kommen laufende Personal- und Unterhaltskosten. [12]

Der Vorsitzende des Fördervereins Kulturhistorisches Museum Nürnberg, Dr. jur. Werner Schultheiß, stellt in einem Leserbrief an die Nürnberger Zeitung eine Kosten-Nutzen-Analyse vor. Reinhard Hahn vom Vorstand der Altstadtfreunde Nürnberg beweist in seinem Leserbrief ergänzend, daß der wiederhergestellte Rathaussaal sogar eine dauerhafte Einnahmequelle für die Stadt Nürnberg wäre.
Außerdem widerlegt Werner Schultheiß in einem Aufsatz die Argumente der Stadtverwaltung und wendet sich gegen „die „Ayatollas” der Denkmalpflege und Kunstgeschichte, für die jede Rekonstruktion ein Sündenfall ist”:

Seine Meinung unterstrich er mit einer Karikatur „Die Verleumdung Albrecht Dürers 2014“:

„Die Verleumdung Albrecht Dürers 2014“. Idee und V.i.S.d.P.: Dr. jur. Werner Schultheiß / Gestaltung: Theo Noll, Förderverein Kulturhistorisches Museum Nürnberg, 2014

Querverweise

Sachartikel

Personenartikel

Netzverweise

  • Großer Saal (Altes Rathaus Nürnberg) - Wikipedia WikipediaPlag durch Benutzer:46.115.114.240 am 11. März 2013‎
  • Alexander Racz: Nürnbergs historischer Rathaussaal – Zum Bürgerentscheid 2014, 16. Mai 2014 - kunstnuernberg.de
  • Alexander Racz: Bürgerentscheid zum historischen Rathaussaal in Nürnberg, 17. Mai 2014 - kunstnuernberg.de
  • Stadt Nürnberg / LP: Dürers Triumphzug. Die Veranstaltung im Historischen Rathaussaal nimmt von 3. bis 12. August 2012 Albrecht Dürers wohl größten Auftrag in den Blick... 31. Juli 2012 - nuernberg.bayern-online.de
  • Das Historische Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei 1943–1945 beim Zentralinstitut für Kunstgeschichte - zi.fotothek.org
  • Historisches Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei - Wikipedia
  • Bombenangriffe auf Nürnberg - im Netz

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. ng [= Ngoc Nguyen]: Dürer-Kopie zurück in den Rathaussaal? NZ-Leserfrage der Woche. In: Nürnberger Zeitung Nr. 180 vom 6. August 2012, S. 10 - NZ
  2. sieb [= Stephanie Siebert]: NZ-Leserfrage der Woche. Sollen Homo-Ehen gleichgestellt werden?. In: Nürnberger Zeitung Nr. 186 vom 13. August 2012, S. 10 - NZ
  3. Hartmut Voigt: Bürgerentscheid soll für farbigen Rathaussaal sorgen. Altstadtfreunde sammeln am Tag der Kommunalwahl Unterschriften - OB Maly bedauert, dass Gesprächsangebot nicht genutzt wurde. In: Nürnberger Nachrichten Nr. 14 vom 18. Januar 2014, S. 9 - genios.de
    • Alexander Brock: Die Altstadtfreunde waren schon einmal erfolgreich. 1996 brachten die Altstadtfreunde mit einem Bürgerbegehren ein mehrfach beschlossenes Bauprojekt zu Fall: die Pläne für einen Komplex auf dem Augustinerhof-Gelände. In: Nürnberger Nachrichten Nr. 14 vom 18. Januar 2014, S. 9
  4. * fis [= André Fischer]: Alter Rathausaal in Nürnberg. Maly will ein Ratsbegehren. In: Nürnberger Zeitung Nr. 18 vom 23. Januar 2014, S. 1 - [ NZ]
    • André Fischer: Ratsbegehren oder Bürgerentscheid. Direkte Demokratie für den Rathaussaal. In: Nürnberger Zeitung Nr. 18 vom 23. Januar 2014, S. 9 - [ NZ]
  5. André Fischer: Söder im NZ-Gespräch: „Konzertsaal ist eine Riesenchance“. Der Finanz- und Heimatminister zum Konzertsaal und der Bemalung des Rathaussaals'. In: Nürnberger Zeitung Nr. 19 vom 24. Januar 2014, S. 9 - NZ
  6. Isabel Lauer: Der Historiker Peter Fleischmann plädiert leidenschaftlich für die Ausmalung des Rathaussaals: „Es geht nicht nur um bunte Bilder!“ In: Nürnberger Zeitung Nr. 116 vom 21. Mai 2014, S. 11 - [NZ
  7. André Freud: Dürer!. In: Gestalten statt verwalten vom 17. Oktober 2012
  8. Anja Prölß-Kammerer: Die Tapisserie im Nationalsozialismus. Propaganda, Repräsentation und Produktion, Facetten eines Kunsthandwerks im „Dritten Reich“. Zugleich: Universität Erlangen-Nürnberg, Dissertation, 1999. Hildesheim; Zürich; New York: Olms, 2000, XII, 496 S., ISBN 3-487-11167-5 (Studien zur Kunstgeschichte; Band 137)
    • Anja Prölß-Kammerer, Arne Marenda: Rechtsextremismus in Nürnberg und Mittelfranken. Historie, Gegenwehr, Prävention - eine Herausforderung für die politische Bildung. Hrsg.: Kreisjugendring Nürnberg-Stadt, DoKuPäd - Pädagogik rund um das Dokumentationszentrum. Nürnberg: Kreisjugendring Nürnberg-Stadt, 2009, 190 S., ISBN 978-3-00-029509-6 (Schriftenreihe des Kreisjugendrings Nürnberg-Stadt; Nr. 21)
    • Dr. Anja Prölß-Kammerer: Dürers Triumphzug nicht rekonstruieren. Die SPD ist dagegen, den Zustand des Rathaussaals zu verändern. In: SPD-Stadtratsfraktion.Nuernberg.de vom 10. August 2012 - im Netz
  9. André Freud: Ahnende und Ahnungslose – und die NN als Erfüllungsgehilfe. In: Gestalten statt verwalten vom 18. Oktober 2012
    Anmerkungen: Sollte man in den städtischen Museen die Zeit des Nationalsozialismus ausklammern, und dürfte man keine Fotos und Gemälde aus dieser NS-Zeit zeigen? Hätte man womöglich die Frauenkirche mit dem Männleinlaufen nicht wiederaufbauen dürfen, weil der Hauptmarkt, der damalige „Adolf-Hitler-Platz“, als Kulisse für die Paraden der NSDAP diente?
  10. Marco Puschner (Nürnberger Zeitung): Weiße Wände im Rathaussaal sorgen für Verdruss. Bürgerentscheid am Sonntag soll Klarheit bringen. In: Nürnberger Zeitung Nr. 114 vom 19. Mai 2014, S. 11 - NZ
  11. tsr [= Timo Schickler]: Bildung vor Ausmalung. DGB zu Ratsbegehren: Keine Steuergelder für Rathaussaal. In: Nürnberger Zeitung Nr. 114 vom 19. Mai 2014, S. 33 - Mehr Nürnberg - genios.de
  12. Regina Urban (Nürnberger Nachrichten): Kunstvilla: Neues Juwel in der Nürnberger Kulturlandschaft. Eröffnung am Wochenende - Großes Lob von allen Seiten. In: Nordbayern.de vom 21. Mai 2014 - nordbayern.de

Zur Diskussionsseite

Hier geht es zur Diskussion:Bürgerbegehren „Historischer Rathaussaal“. An der Diskussion teilnehmen können - wie bei Leserbriefen üblich - nur mit Klarnamen angemeldete Benutzer.