Kelheimer Judensau

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Die Kelheimer Judensau

Ein Zeugnis christlicher Judenfeindschaft
Von Prof. Dr. Hermann Rusam

Nicht durch Verschweigen, sondern nur
indem man öffentlich über sie redet,
nimmt man den bösen Geistern der
Vergangenheit ihre zerstörerische Kraft.

Über Judensau-Darstellungen in der christlichen Kunst zu schreiben, ist kein einfaches Unterfangen, verletzt dieser Begriff, der das für Juden unreine Tier mit ihrem Namen verknüpft, nicht nur zutiefst die religiösen Gefühle der Juden, sondern auch ihre Menschenwürde. Das Wort ist aber schon lange zu einem weitverbreiteten kunstgeschichtlichen Fachausdruck geworden, für den es kein Synonym gibt. Dies ist der einzige Grund, weshalb wir diesen häßlichen Ausdruck in dem folgenden Aufsatz verwenden.

Belegt ist dieses Motiv schon seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert. Über sechs Jahrhunderte hindurch hat es sich dann nahezu unverändert erhalten. Die jüngste Darstellung findet sich als Titel einer antijüdischen Publikation aus dem Jahre 1822. Eigenartigerweise befinden sich die ältesten Judensau-Darstellungen – anders als in Kelheim - im Inneren von Kirchen, das heißt an Stellen, an denen sie Juden nie zu Gesicht bekamen. Ursprünglicher Adressat dieses Motivs war offensichtlich nicht die jüdische, sondern die christliche Gemeinde. Ihr sollte eindringlich vor Augen geführt werden, daß die Juden als Ungläubige außerhalb der christlichen, ja der menschlichen Gemeinschaft standen. Durch ihr widerwärtiges, sündhaftes Treiben waren sie dem Teufel verfallen, als dessen Symbol das Schwein diente. Durch derartige Schmähbilder wurde das stereotype judenfeindliche Bild verfestigt, verbreitet und von Generation zu Generation als Selbstverständlichkeit weitergetragen. Schließlich senkte sich dieses Zerrbild des Juden tief in die deutsche Volksseele. Selbst die Aufklärung, die ja manchem Vorurteil und Aberglauben ein Ende setzen konnte, vermochte nichts an dieser moralische diffamierenden Entmenschlichung des Juden zum gesellschaftlichen Negativ-Symbol schlechthin zu ändern.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts gerieten die Judensau-Darstellungen weitgehend in Vergessenheit. Von den Nationalsozialisten wurde das traditionelle Motiv der Judensau nicht aufgegriffen. Doch gehörten Ausdrücke wie Saujud oder dreckige Judensau zum selbstverständlichen Repertoire an Schimpfwörtern, mit denen die Nazis die Menschenwürde unserer jüdischen Mitbürger bewußt besudeln wollten. War das Schmähbild selbst auch bei der Bevölkerung in Vergessenheit geraten, so verschwand doch nicht die in ihm sich ausdrückende Geisteshaltung: der Jude sei etwas so völlig Fremdes, daß er eher der Welt dämonischer Tiere als der Menschheitsfamilie angehöre (Jochum). Die schreckliche menschenvernichtende Konsequenz aus dieser Einstellung ist hinreichend bekannt.

Wenden wir uns nach dieser für das Verständnis unerläßlichen Einführung der Kelheimer Judensau zu. Sie stellte das jüngste, aber doch ganz in der alten Tradition stehende Beispiel einer derartigen Groteskplastik in Bayern dar.

Die Reliefplatte aus dem 16. Jahrhundert war bis zu ihrer Beseitigung nach dem des Zweiten Weltkrieg an der Stadtapotheke (Donaustraße 16) angebracht. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war sie in der Mitte der Hausfront über dem großen Rundbogenfenster des Erdgeschosses eingemauert. Das Relief an der Apotheke hatte etwa die Ausmaße 50 cm x 50 cm. Nach oben ging die quadratische Platte in eine rechteckige Tafel über, auf der in vier Zeilen der Satz stand:

Ano dni 1519 iar

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regnspvrg avsgesch

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Kelheim 2.jpg

(Im Jahr des Herrn 1519 wurden die Juden zu Regensburg ausgeschafft = vertrieben). An der Apotheke fällt noch heute ein aus dem aufgelassenen Regensburger Judenfriedhof stammender eingemauerter Grabstein auf, der an die am 27. Juni 1249 verstorbene Orgie, Tochter des Rabbi Jehud erinnert. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Kelheimer Judensau dürfte aber nicht bestanden haben.

Kelheim 1.jpg

Abb. 1: Die Kelheimer „Judensau“ wurde 1945 nicht von den Amerikanern, sondern von den Deutschen entfernt (Abbildung aus dem sog. Stürmer-Archiv, Stadtarchiv Nürnberg).

Abb. 2: Bis 1945 war die Kelheimer „Judensau“ an der Fassade der Stadtapotheke (Donaustraße 16) eingemauert. Der jüdische Grabstein aus Regensburg erinnert an die 1249 verstorbene Tochter des Rabbi Jehud (Aufnahme: Rusam). Die Kelheimer Judensau wurde sicherlich nicht wegen der in der Stadt wohnenden Juden, die auf eine kleine Zahl beschränkt blieben, geschaffen. Der Kelheimer Judenstein verdankt seine Entstehung vielmehr der Absicht, die Erinnerung an die Vertreibung der Juden aus der nahen Bischofsstadt Regensburg als eine Art Ruhmestat der Nachwelt zu überliefern. Dennoch ist die Kelheimer Judensau der einzige Fall in ganz Bayern für den direkten Bezug zwischen einer konkreten jüdischen Gemeinde (in Regensburg) und dem Spottrelief (in Kelheim). Bald nach der Vertreibung der Juden aus Regensburg am 22. Februar 1519 dürfte ein Künstler - wir wissen leider nicht von wem - beauftragt worden sein, ein Judensau-Relief, wie es in ähnlicher Weise bereits aus vielen Städten bekannt war, nun auch für Kelheim zu schaffen.

Das Spottbild an der Stadtapotheke zeigte drei Juden - Christen tauchen beim Motiv der Judensau grundsätzlich nie auf - mit einem Schwein. Zwei stehende Männer zu beiden Seiten halten das Schwein hoch. Ein in der Mitte auf dem Boden sitzender dritter Mann, der durch seinen charakteristischen Hut unmißverständlich als Jude ausgewiesen ist, saugt an einer der Zitzen des für ihn unreinen Tieres, die er mit der Hand ergriffen hat. Der linke Jude hält das Schwein am Schwanz und hebt in obszöner Weise dessen linkes Hinterbein hoch. Der rechte Jude hält das Schwein am Kopf und zwingt das Tier, seinen Blick auf eine Tafel zu werfen, die er in der linken Hand hält. Diese war mit einigen hebräischen Buchstaben beschrieben, die allerdings keinen sinnvollen Text ergeben und wohl der Phantasie des Künstlers entsprungen sind (Pseudo- oder Spotthebräisch). Sie sollten wohl das jüdische Gesetz, die Thora, symbolisieren.

Recht stark weichen Beschreibungen bzw. Interpretationen der Kelheimer Judensau in der Literatur voneinander ab. So meinte etwa W. Schefbeck, die Kelheimer Bürger hätten diese Karikatur unweit der Synagoge hoch an einem Hause aufgestellt, um die Juden zum freiwilligen Abzug ... zu bewegen. Nach M. Rosenfeld ist das Schwein, an dessen Zitzen ein Jude in halbliegender Stellung auf dem Boden saugt, ein Symbol des Wohlstandes. Zwei Männer, von denen der eine rechts den Habitus des wohlgepflegten Christlichen zeigt, wollen das Tier, wenn auch unter Anwendung von peinigender Gewalt von den Juden forttreiben. Das letztere Beispiel belegt, daß auch jüdische Autoren meist nicht in der Lage sind, eine richtige Deutung des Motivs der Judensau zu geben. Nach R. Ettelt zeigt das Bild einen Juden mit einem geschlachteten Schwein. Ein Gesetzestreuer warnt ihn vor dem Fleischgenuß. Es überrascht, daß die Gleichsetzung des Schweines mit dem Teufel nach der mittelalterlichen Ikonographie offensichtlich völlig in Vergessenheit geraten ist.

Die Kelheimer Judensau war nicht schon immer an der Stadtapotheke eingemauert. Nach Fuchs befand sich dieses Spottbild ursprünglich (seit dem 16. Jahrhundert) an dem Rathaus von Kelheim. Schefbeck meint dagegen, daß die Judensau ursprünglich in einer öffentlichen Straße an der Mauer eines Gebäudes angebracht war. Die Darstellung erweckte bei den Juden Anstoß, die häufig diese Straße gehen mußten. Auf ihr vieles Bitten ließ der Landrichter von Wels endlich das Relief abnehmen, das dann seinen neuen Platz im Hausfletz der Stadtapotheke fand. Beim Umbau des Gebäudes 1895 mauerte man den Reliefstein in die Fassade ein. Bis 1939 lebte in diesem Haus der Stadtapotheker Wilhelm Schefbeck, einst Mitbegründer der NSDAP in Kelheim, der sich der antisemitischen Bedeutung und Wirkung dieser Judensau-Darstellung zweifellos voll bewußt war. Galt dieses Spottrelief an Kirchen und öffentlichen Gebäuden im Mittelalter als Bekenntnis zum Christentum, so war nun die Anbringung der Judensau am Privathaus zu einem weltanschaulichen Bekenntnis zum Nationalsozialismus geworden.

Bis zum Jahr 1945 zählte dann die Kelheimer Judensau zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt, die bei Stadtrundgängen stets den Touristen gezeigt wurde. Lehrer führten während des Dritten Reiches ihre Schulklassen vor die Stadtapotheke. Jeder Schüler kannte das Motiv mit seiner antisemitischen Bedeutung und den Text über dem Relief. Auf diese Weise wurde eine judenfeindliche Stimmung gefördert, obwohl es in Kelheim 1933 nur zwei Juden gab. 1945 lebte nur noch ein einziger Mann jüdischer Abstammung, der zum Christentum konvertiert war. Er starb kurz bevor er in das Konzentrationslager Theresienstadt abtransportiert werden sollte.

Es ist immer wieder zu lesen, daß das Relief nach dem Einmarsch der Amerikaner 1945 auf Anweisung eines Offiziers der US-Armee herausgemeißelt wurde. Rudibert Ettelt, der sich als Stadtarchivar mit diesem Thema befaßt hat, nimmt jedoch an, daß die Amerikaner das Motiv der Judensau überhaupt nicht zur Kenntnis nahmen. Im April oder Mai 1945 wurde aus einem unsinnigen Reue- und Purifikationsbedürfnis (Ettelt) von deutscher Seite aus der Wunsch geäußert, den Stein zu entfernen. Die offizielle Genehmigung erteilte der kommissarische Bürgermeister Eduard Staudt wohl noch 1945.

Nach über einem halben Jahrhundert ist die Kelheimer Judensau nun weitgehend - aber doch keineswegs völlig - in Vergessenheit geraten. Die Anbringung einer Gedenktafel wäre wünschenswert, könnte auf diese Weise doch die Kelheimer Bürgerschaft dokumentieren, daß sie -trotz der Beseitigung des Spottreliefs - die mahnende Erinnerung an diese schwierige Vergangenheit lebendig hält.

Der vorliegende Aufsatz wurde der Mittelbayerischen Zeitung für den nördlichen Landkreis Regensburg angeboten. Eine Veröffentlichung wurde jedoch abgelehnt. Es kann nur vermutet werden, daß man nicht bereit ist, sich mit einem derart schuldbeladenen Thema, wie dem der Judensau, zu befassen. Ob der eigentliche Grund in einem zumindest latenten Antisemitismus zu suchen ist, sei hier dahingestellt.
Siehe hierzu auch meinen ebenfalls abgelehnten Aufsatz über die „Theilenberger Judensau.

Kommentar

  1. Hermann Rusam hatte seinen Aufsatz der Mittelbayerischen Zeitung für den nördlichen Landkreis Regensburg angeboten. Wie bei journalistischen Artikeln üblich, fehlen exakte bibliographische Quellenangaben, so daß der Aufsatz wissenschaftlich-historischen Ansprüchen nur ansatzweise genügt. Womöglich wird der Autor diese Unvollkommenheiten bei Abdruck in einer historischen Zeitschrift ausbügeln.
  2. Ablehnungsgrund der Mittelbayerischen Zeitung könnte sein, daß die Formatierungsarbeit eigentlich unzumutbar ist; denn Kollege Hermann Rusam bringt viele Zitate in Kursivschrift. Er gehört zur leider sehr großen Lehrer- und Professoren-Gemeinde der IT-Methusaleme, die keine E-Mail-Adresse haben, so daß ihnen der Versand ihrer Aufsätze an Medien fremd ist. Eingefleischte Computergegner flüchteten sich in die Pension und überließen die Internetarbeit ihrer Sekretärin, ihren Schülern und Studenten, anstatt sich IT-mäßig fortzubilden und zum Beispiel auch die Arbeit mit einem MediaWiki zu erlernen. Der eigentliche Ablehnungsgrund dürfte daher sein, daß die Redaktion der Mittelbayerischen Zeitung es als unzumutbar empfand, die zeitaufwendige Formatierungsarbeit eines IT-Methusalem-Professors für ihn zu erledigen.
  3. Personen
    1. R. Ettelt, später erläutert: Rudibert Ettelt, Stadtarchivar
    2. Fuchs
    3. Jochum
    4. M. Rosenfeld
    5. W. Schefbeck, später erläutert: Wilhelm Schefbeck
    6. Eduard Staudt, kommissarischer Bürgermeister
  4. Sachbegriffe
    1. Hausfletz, nicht erläutert
  5. Rechtschreibung
    1. Hermann Rusam verfaßte einen Artikel Judensau zuerst im Stadtlexikon Nürnberg. Dieses Stadtlexikon erschien in der herkömmlichen Orthographie. Da das NürnbergWiki ebenfalls die klassische Orthogaphie beibehalten hat, wurde Rusams Presseorthographie beseitigt, insbesondere die Eszett-Schreibung.
    2. Fantasie wurde durch Phantasie ersetzt.
    3. Bei der Frakturschrift auf dem Denkmal berücksichtigte Hermann Rusam nicht das Lange s beziehungsweise die Ligaturen, die deutlich zu lesen sind. Das Lesen der Frakturschrift bereitet offenbar Probleme. Die Frakturschrift wurde 1941 von Hitler verboten und nach 1945 ebenfalls von den Besatzungsmächten. Es ist daher kein Wunder, daß die Umsetzung der Fraktur-Inschrift in Antiqua fehlerhaft ist und die Übertragung das lange s „ſ“ nicht enthält. Manfred Riebe, 26.04.2017

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Presse

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Personenartikel

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Einzelnachweise und Anmerkungen


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