Theilenberger Judensau

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Die Theilenberger Judensau

Ein Zeugnis christlicher Judenfeindschaft
Von Prof. Dr. Hermann Rusam

Über 50 Beispiele von Judensau-Darstellungen in der plastischen Kunst sind uns im Original oder aus der Literatur bekannt. Ihre Verbreitung ist nahezu identisch mit dem deutschen Sprachraum. Da aber im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen Judensau-Darstellungen der Bevölkerung vertraut waren, man heute nicht mehr davon ausgehen kann, daß die meisten Menschen auch nur von diesem Thema bisher je gehört haben, scheint es uns geboten, einige Informationen allgemeiner Art vorauszuschicken (1):

Der Begriff „Judensau“ ist für Juden zweifellos anstößig, verknüpft er doch das für sie unreine Tier mit ihrem Namen. Doch ist das Wort zu einem allgemein gebräuchlichen und weithin verbreiteten kunstgeschichtlichen Fachausdruck geworden, für den es kein Synonym gibt. Nur aus diesem Grund verwenden wir den wenig schönen Ausdruck auch in diesem Aufsatz. Belegt ist dieses Motiv schon seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Das älteste uns bekannte Beispiel stammt aus Goslar. Weit über sechs Jahrhunderte hindurch hat sich dieses Motiv dann nahezu unverändert erhalten. Die jüngste Darstellung findet sich als Titel einer antijüdischen Publikation aus dem Jahr 1822 (2).

Eigenartigerweise befinden sich die ältesten Judensau-Darstellungen meist im Inneren von Kirchen, das heißt an Stellen, an denen sie Juden nie zu Gesicht bekommen haben (3). Ursprünglicher Adressat dieses Motivs war offensichtlich nicht die jüdische, sondern die christliche Gemeinde. Ihr sollte eindringlich vor Augen geführt werden, daß die Juden als Ungläubige außerhalb der christlichen, ja der menschlichen Gemeinschaft stehen. Durch ihr sündhaftes Treiben waren sie dem Teufel verfallen, als dessen Symbol im Mittelalter das Schwein diente (4). Ohne sich des damaligen Symbolgehaltes des Schweins, der später völlig verloren gegangen ist, bewußt zu sein, kann man den ursprünglichen Sinngehalt der Judensau nicht verstehen. Es ging von Anfang an um die Verteufelung der Juden als Ungläubige. Durch derartige Schmähbilder, zu denen z. B. auch die Darstellung der ecclesia und der synagoga gehörten, wurde das stereotype judenfeindliche Bild verfestigt, verbreitet und von Generation zu Generation als Selbstverständlichkeit weitergetragen. Schließlich senkte sich dieses Zerrbild des Juden so tief in die deutsche Volksseele, daß auch die Aufklärung daran nicht zu rütteln vermochte.

Obwohl im 19. Jahrhundert das Motiv der Judensau immer weniger dem Zeitgeschmack entsprach, lebte es als Schimpfwort weiter. Ausdrücke wie Saujud, Judenschwein oder dreckige Judensau gehörten zum selbstverständlichen Repertoire an Schimpfwörtern, mit denen die Nazis die Menschenwürde unserer jüdischen Mitbürger bewußt besudeln wollten. Die letzte brutale Konsequenz aus dieser Einstellung ist hinreichend bekannt.

Im Folgenden wollen wir uns nun dem umstrittenen Motiv der Theilenberger Judensau zuwenden. Das kleine Kirchdorf Theilenberg liegt rund fünf Kilometer nordwestlich von Spalt. An der Ostseite des Kirchturms der katholischen Pfarrkirche St. Wenzeslaus befindet sich in 4,25 Meter Höhe das eigenartige Relief, das, obwohl dies von mancher Seite teils sogar heftig bestritten wird, unserer Auffassung nach als Judensau anzusprechen ist. Bei dem Reliefstein handelt es sich offensichtlich um eine Spolie, stammt der obere Teil des Turmes doch erst aus dem 17. Jahrhundert. Markant hebt sich der rötliche Burgsandstein von der gelb getünchten Wand ab. Die Ausmaße des Reliefsteins betragen etwa 50 cm in der Breite und 30 cm in der Höhe. Eigentümerin der Kirche und damit auch des Judensau-Reliefs ist die katholische Pfarrkirchenstiftung der Pfarrei Theilenberg.

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Abb. 1: Die Judensau an der Pfarrkirche St. Wenzeslaus in Theilenberg

Das Relief stammt vermutlich aus dem späten 14. Jahrhundert. Leider ist der Burgsandstein sehr verwitterungsanfällig, so daß die Darstellung im Detail auf Anhieb nicht eindeutig zu bestimmen ist: Unter dem nach rechts blickenden Tier läßt sich ein saugender Jude bestenfalls noch erahnen. Sein Kopf ist vermutlich nach rechts hinten geneigt. Dieser Reliefteil ähnelt stark dem bei der Cadolzburger Judensau. Eine zweite Gestalt ist rechts daneben undeutlich auszumachen. Auch am Kopf des Schweins macht sich anscheinend – wie bei derartigen Darstellungen üblich – ein Jude zu schaffen. Seine Gestalt ist aber zum größten Teil abgebröckelt.

Da das Tier für ein Schwein eigentlich viel zu schlank ist, tauchten Zweifel auf, ob es sich wirklich um eine Judensau handelt. Im Pfarrarchiv gibt es keinerlei Hinweise auf die Existenz eines derartigen Spottreliefs an der Kirche. In den Kunstdenkmälern von Mittelfranken von 1939, heißt es sogar: Die Tierfigur stellt etwa einen Hund dar (5). Frau Edda Miltenberger, die frühere Bundesgeschäftsführerin des Frankenbundes, sieht in der Darstellung einen Löwen mit zwei Jungen (6). Beide Ansichten erscheinen dem Verfasser allerdings eher abwegig. Ungeklärt steht auch der Gedanke im Raum, es könnte sich um Reste eines Wappens handeln.

Weitere Damen und Herren lehnen die Deutung des Reliefs als Judensau vehement ab, so etwa Frau Dr. Marianne Stößl vom Bayerischen Nationalmuseum München (7), Herr Eugen Schöler (8), Herr Franz Kornbacher, 1. Vorsitzender des Heimatvereins Abendberg e. V., Herr Dr. Markus Hundemer, wissenschaftlicher Angestellter beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in München (9). Wie weit sich jeder von diesen Damen und Herren wirklich intensiv mit dem Thema Judensau-Darstellungen in der plastischen Kunst befaßt hat, sei hier dahingestellt. Jedenfalls ist dem Verfasser von keinem der genannten Personen eine wissenschaftliche Arbeit zu dieser Thematik bekannt.

Befürworter der These, daß es sich bei dem Relief um eine Judensau handelt, sind etwa Herr Bezirksheimatpfleger Manfred Horndasch (2015 verst.), Herr Ralf Rossmeisl, Mitarbeiter des Bezirkskulturamtes Mittelfranken, oder Herr Hans-Werner Kress vom Rangau-Heimathaus. Von Herrn Kress weiß der Verfasser auf Grund mehrerer Gespräche, daß dieser sich eingehend mit dem Thema der Judensau befaßt hat. Angesichts der Gesamtkomposition, der Vergleichsobjekte und des Ortes der Anbringung geht der Verfasser, auch wenn es offensichtlich nicht jedermann gefallen sollte, davon aus, daß hier tatsächlich eine Judensau dargestellt ist. Wegen der im Mittelalter üblichen künstlerischen Freiheit bei Figurendarstellungen sind die Schlankheit des Tiers und die für ein Schwein ungewöhnliche Gestaltung des Schwanzes nicht als wirkliches Gegenargument zu sehen. Man denke z. B. nur an die Brandenburger oder Metzer Judensau.

Besondere Unterstützung verdankt der Verfasser Herrn Dr. Götz Ruempler, einem der besten Kenner mittelalterlicher Groteskplastiken in Europa. Dieser hat in einer eindruckvollen Zeichnung zum Ausdruck gebracht, wie das Motiv einst ausgesehen haben könnte. Dabei kommt es nicht auf jede Einzelheit seines Vorschlages an, sondern auf die Gesamtkomposition.

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Abb. 2: Pfarrkirche St. Wenzeslaus in Theilenberg: Relief mit dem „Judensau“-Motiv, ergänzt durch Dr. Götz Ruempler.

Zu obiger Zeichnung schreibt Herr Dr. Götz Ruempler dem Verfasser: So würde sich das torsohafte Theilenberger Relief nahtlos in die Nürnberg - Bayreuth – Heilsbronner Nachbarschaft einordnen lassen (10).

Im Folgenden sei weiter aus seinem Brief zitiert: Vor allem die Umrisse der beiden Figuren am Bauch des Tieres zeichnen sich noch andeutungsweise ab. Auch am Kopf (auf der Nase sowie an Maulunterkante und Kehle) sind Strukturen erkennbar – ebenso wie am Rücken in Verbindung mit dem hoch gebogenen Schwanz. Auch die schlanke Figur des Schweinekörpers ist nicht ungewöhnlich… Jedenfalls spricht bei dem arg verwitterten und abgestoßenen Relief an der Pfarrkirche in Theilenberg alles für das Motiv der „Judensau“.

Fotogalerie

Literatur

Zum Thema „Judensau“ sind bisher folgende Arbeiten des Verfassers erschienen:
  • Alfred Eckert, Hermann Rusam: Geschichte der Juden in Nürnberg und Mittelfranken. In: Beiträge zur politischen Bildung Nr. 7, 2. verbesserte Auflage 1995, hrsg. vom Pädagogischen Institut der Stadt Nürnberg, S. 21 f.
  • Hermann Rusam: Die Spalter Judensau – ein judenfeindliches Motiv aus dem Spätmittelalter. In: Heimatkundliche Streifzüge, Schriftenreihe des Landkreises Roth, Heft 15, 1996, S. 78 – 83
  • Hermann Rusam: Das rätselhafte Schmähbild. Geschichte und Bedeutung der Spalter „Judensau“ und ihrer „Schwestern“ in Franken. In: Nürnberger Zeitung am Wochenende, 25. Juli 1998
  • Hermann Rusam: „Judensau“-Darstellungen in der plastischen Kunst Bayerns. Ein Zeugnis christlicher Judenfeindschaft. In: Begegnungen, Zeitschrift für Kirche und Judentum, Sonderheft, März 2007.
  • Hermann Rusam: Die „Judensau“ am Cadolzburger SchlossIn: Nürnberger Zeitung vom 13. September 2014

Presse

Querverweise

Sachartikel

Personenartikel

Netzverweise

Einzelnachweise und Anmerkungen

  • (2) Hartig Hundt von Radowsky: Die Judenschule, Aarau 1822
  • (3) Brandenburg, Xanten, Magdeburg, Eberswald und Lemgo. Siehe hierzu: Shachar, Isaiah: The Judensau, A Medival Anti-Jewish Motif and its History, London 1974, S. 15. ff.
  • (4) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. VII, hrsg. unter besonderer Mitwirkung von E. Hoffmann-Krayer, Berlin und Leipzig 1935/36. In Spalte 1477 wird hier das Schwein als Teufels und Hexentier bezeichnet. Bei Manfred Lurker: Wörterbuch der Symbolik, 2. erw. Aufl. Stuttgart 1983, wird auf S. 609 der Symbolgehalt des Schweins folgendermaßen interpretiert: In der christlichen Literatur und Kunst wird das „schmutzige Schwein“ … zum Symbol des befleckten Sünder, zur Verkörperung des Bösen (des Teufels), zum Reittier der Luxuria und der Synagoge.
  • (5) Die Kunstdenkmäler von Mittelfranken, Bd. VII, Stadt und Landkreis Schwabach, bearb. von K. Gröber, F. Mader. In: Die Kunstdenkmäler von Bayern, hrsg. von Lill, Georg, München 1939, S. 380.
  • (6) Schreiben von Frau Edda Miltenberger an Franz Kornbacher vom 28.01.2005.
  • (7) Schreiben von Frau Marianne Stößl an Frau Marianne Schröder vom 04.01.2005.
  • (8) Schreiben von Herrn Eugen Schöler an Herrn Franz Kornbacher vom 15.01.2005.
  • (9) Schreiben von Herrn Dr. Markus Hundemer an Herrn Franz Kornbacher vom 18.01.2005.
  • (10) Schreiben von Herrn Dr. Götz Ruempler an den Verfasser vom 29.03.2007.

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